Kaum ist der Gast ins Krefelder Haus Lange eingetreten, wird er Teil eines flexiblen Systems permanenter Reflexe. In der einstigen Wohnhalle des von Ludwig Mies van der Rohe für Hermann Lange entworfenen Baus findet man sich inmitten vertikal stehender, teils leicht geneigter Kapseln wieder. „Mikro.Perpendiculars“ nennt Julius Popp seine Installation, die bei manchem Gast zunächst Assoziationen an überdimensionierte Produkte der Pharmaindustrie wecken dürfte. Eingebaute Prozessoren antworten auf Einflüsse wie Luftströme, menschliche Bewegungen oder andere Veränderungen im Raum.
Obwohl die interaktive Arbeit in ihrem kühlen minimalistischem Charme an die 1960er Jahre anknüpft, geht es vergleichend dazu nicht um Technik und Fortschritt, sondern um Inhalte, die unsere Kultur bestimmen. Zudem will Julius Popp damit Prozesse aufzeigen, hier vor allem Austausch und Kommunikation. Trotz der Ungleichheiten zwischen damals und heute eint den Preisträger und den Namensgeber des Preises die Korrespondenz mit dem Wirklichkeitsbegriff, der sich aus Kunst und Wissenschaft bestimmt. Der niederrheinische Lichtkünstler Adolf Luther war in den 1960er Jahren einer der maßgeblichen Vertreter einer Kunstrichtung, die dem gemalten Tafelbild mit Glas, Spiegeln, Laser oder Rauch Neues entgegensetzten.
Gleichzeitig sammelte Luther Objekte, monochrome Malerei bis hin zu Ereignisse und Gedankengänge spiegelnde Arbeiten wie Joseph Beuys’ Schultafeln. Luthers Nachlass samt seiner umfangreichen Kunstsammlung wird heute von der gleichnamigen Stiftung bewahrt und mit Leben erfüllt. In zwei bis vierjährigen Abständen verleiht sie den mit 5.000 Euro dotierten Kunstpreis an einen zeitgenössischen Künstler, dessen Werkschaffen in dieser Tradition steht. Heuer entschied sich der Stiftungsvorstand auf Vorschlag der künstlerischen Leiterin, der Kunsthistorikerin Magdalena Broska, eben für Julius Popp, der wie alle sieben vorherigen Preisträger Andreas Slominski, Michel Verjux, Bethan Huws, Stephen Craig, Martin Boyce und Katja Strunz mit einer Ausstellung samt Katalog sowie einen Ankauf geehrt wird.
Julius Popp wurde 1973 in Nürnberg geboren und lebt und arbeitet heute in Leipzig. Zwischen 1989 und 2005 studierte er dort an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo er Meisterschüler von Astrid Klein war. Zu überregionaler Aufmerksamkeit verhalf Julius Popp im Jahr 2006 die auf der Art Basel präsentierte Installation „Bit.Fall“, ein Wasserfall, der Buchstaben und Wörter visuell erzeugt. Auch seine experimentelle Arbeiten der Überblicksausstellung im Museum Haus Lange fokussieren eine kreative Auseinandersetzung mit Informationen und Nachrichten der heutigen Gesellschaft, die ihnen zugrunde liegenden Strukturen, neuen Informationstechnologien und ihre Auswirkungen auf menschliche Verhaltensweisen. Popp gelingt es, seine Gedanken in poetisch-sinnlicher Weise im ästhetischen Niveau der Kunst zu artikulieren.
Eine komplette Wand nimmt die Arbeit „Bit.Code“ aus dem Vorjahr ein, die Muster und Darstellungssysteme untersucht. An einer Rolle herabhängende Plastikketten tragen schwarzweiß gepixelte Oberflächenstrukturen. In zeitlich unterschiedlichen Abständen rollen die 50 Ketten in einer Endlosschleife weiter, was zu willkürlich neu zusammengesetzten Wortvarianten führt. In einer weiteren Arbeit aus Popps „Bit Series“ formiert eine Maschine Tischtennisbälle zu Wörtern. Auf Knopfdruck werden sie ausgeworfen, verteilen sich auf dem Boden und zerstreuen sich ähnlich chaotisch wie Informationen im Internet. Um den kontinuierlichem Datenfluss zu gewährleisten, muss der Besucher die überall im Raum verteilten Bälle wieder aufsammeln.
Die Videoarbeit „Bit.Flow – Untersuchung zu Kulturwandel“ zeigt ein System von Schläuchen, mit denen Julius Popp auf den Ariadne-Faden anspielt. Rote Flüssigkeit fließt durch das Schlauchgewirr, die ein Computerprogramm selbst berechnend in Abständen dahinein abgibt. So entsteht ein neuronales Netz, bei dem die Maschine über Videokameras lernt, wie sie die Farbverteilung zu bestimmen hat. Klassisch muten dagegen Popps Zeichnungen an. Doch auch dafür filtert er die häufigsten gefallenen Wörter aus dem Internet heraus und ordnet sie in Kreisformen auf dem Papier an.
Um die Verbindung zum Namensgeber der Auszeichnung herzustellen, präsentiert die Adolf-Luther-Stiftung im Obergeschoss von Haus Lange zudem Arbeiten Adolf Luthers. Sein Bestreben war es, den lichtenergetischen Bereich für die Kunst zu erschließen. In Dialog mit Forschern, Technikern und Ingenieuren schuf er Installationen aus Hohlspiegeln, Lasern und Prismen. Seine Lichtkunst war eine kunstimmanente Reaktion auf die Krise des Tafelbilds in den 1960er Jahren, aber zugleich auch auf ein Bild von Wirklichkeit, das durch die Technik und den wissenschaftliche Fortschritt ins Wanken geraten war. Die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft wollte er in experimentellen Verfahren künstlerisch sichtbar machen.
Licht und Dunkel, Sichtbar und Unsichtbar – Luthers Kunst baut sich auf polaren Werten auf. Kinetische oder sphärische Hohlspiegel, Linsen, Edelstahlteile versetzen den Besucher in den Kabinetten in teils verwirrende Szenarien. Neben dem in engen Kontakt mit Wernher von Braun und der NASA entwickelten „Mondprojekt Festival 2000“ aus dem Jahr 1976, in dem Luther die Idee des Licht erfüllten Raumes auf den Kosmos erweitert und mittels Spiegelsatelliten auf der dunklen Mondseite einen Lichtpunkt setzen wollte, ist auch der abgedunkelte „Focussierende Raum“ von 1968 wieder installiert. 41 auf dem Boden liegende Hohlspiegel werden von der Decke angestrahlt. Eindringende Rauchschwaden lassen Brennpunkte sichtbar werden und erzeugen ein Gewirr von imaginären Linien und Flächen im Nichts. Darüber hinaus sind der Laserraum, weitere klassische Lichtobjekte aus konkav gewölbten Hohlspiegeln sowie Zeichnungen, Diagramme und Briefe zu sehen.
Die Ausstellungen „Transposition. Der Kunstpreisträger der Adolf-Luther-Stiftung 2010: Julius Popp“ und „Adolf Luther. Kunst, Wissenschaft, Technik“ sind noch bis zum 19. September zu besichtigen. Das Museum Haus Lange hat täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 4 Euro, ermäßigt 2 Euro.
Adolf-Luther-Stiftung Krefeld
Viktoriastraße 112
D-47799 Krefeld
Telefon: +49 (0)2151 – 27 913
Telefax: +49 (0)2151 – 80 29 66
www.adolf-luther-stiftung.com
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