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Langsam kann man wieder anfangen, von Netzkunst zu sprechen. In der letzten Zeit wurde das zunehmend schwierig. Denn in den vergangenen drei Jahren wurde man komisch angesehen, wenn man sich mit dem Internet beschäftigte, ohne damit die Aussicht zu verbinden, eine Start-Up-Firma zu gründen, irgendwann jede Menge Geld zu verdienen und sich mit 35 Jahren als Multimillionär zur Ruhe zu setzten.
Es war die Zeit, als die Kunde von den jungen Internet-Tycoonen aus den USA nach Deutschland drang, hierzulande die ersten dot.com-Unternehmen gegründet wurden und sich eine eigene Internet-Ökonomie mit eigenen Medien, Treffpunkten und einer speziellen Geschäftskultur entwickelte. Neue Generationen von Gründern traten auf der gesellschaftlichen Bühne auf, wurde zum Teil auch reich (wenigstens auf dem Papier), und begannen, zu gefragten Gesprächspartner von Bankern, Politikern und Journalisten zu werden. Mit dem Internet zu tun zu haben, wirkte plötzlich wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Wer eine Internet-Geschäftsidee hatte, bekam leicht Risikokapital und galt als Pionier der neuen digitalen Welt.Und die Künstler, die sich zum Teil schon seit über einer Dekade mit Computervernetzung und digitaler Kultur beschäftigten, standen da, als hätten sie alles verkehrt gemacht: Hatten sie etwa nicht verstanden, dass das Internet in erster Linie ein neues ökonomisches Phänomen sei, und nicht, wie sie angenommen hatten, eine Plattform für Kunst und Kultur? Auch wenn darüber öffentlich wenig geredet wurde, geriet die erste Generation von Netzkünstlern in eine ernste Krise: Sie, die mutig das neue Territorium des Cyberspace erforscht hatten, bevor von dot.com-Mania die Rede war, wurden belächelt, als hätten sie die Zeichen der Zeit falsch gedeutet.
Doch dann begannen die Kurse von Nasdaq und Neuem Markt zu fallen, die ersten Internetfirmen in den USA legten zum Teil spektakuläre Pleiten hin und wurden auf Websites wie www.fuckedcompany.com dafür sogar noch verhöhnt. Auch in Deutschland mussten die ersten Netz-Start-Ups aufgeben, verkaufen, oder wenigstens den Börsengang verschieben. In den letzten Monaten schien es auf einmal doch nicht mehr ganz so leicht zu sein, mit dem Internet reich zu werden. Für die Kulturarbeiter war es gut, dass die Internet-Luftblase platzte, da es für sie - wie auch für viele Internetfirmen - nun wieder möglich wurde, sich etwas entspannter an das zuvor mit hohem finanziellen Erwartungen aufgeladene Netz heranzuwagen.
Denn im Netz-Goldrausch der letzten Jahre war etwas in Vergessenheit geraten, nämlich dass das Internet auch als ein Werkzeug für Universitäten, für Bildung, Wissenschaft und Kultur entwickelt wurde. Seit der amerikanische Kongress 1996 erlaubte, das aus Steuermittel finanzierte "Netz der Netze" für ökonomische Zwecke zu nutzten, ist der kommerzielle Gebrauch ein legitimer, wenn auch keineswegs der einzige. Für Kunst sollte im Netz immer Platz sein.
Reich geworden ist mit Netzkunst jedenfalls noch niemand. Im Gegenteil, wer sich der exklusiven Tätigkeit, Kunst für oder im Internet zu produzieren, hingibt, muss damit rechnen, lange von anderen Jobs, Stipendien oder - wenn man Glück hat - von Anstellungen an einer Kunstakademie oder Universität zu leben. Denn Netzkünstler haben meist keine physische Artefakte, von deren Verkauf sie leben könnten. Ihre Kunst ist digital und damit immateriell. Sie findet im Netz statt und kann in der „wirklichen Welt“ bestenfalls dokumentiert werden. Zwar hat es in den letzten Jahren einige Versuche gegeben, Netzkunst auch zum Verkauf anzubieten - zu nennen wäre beispielsweise die Online-Galerie art.teleportacia (art.teleportacia.org) der Russin Olia Lialina oder Artcart (www.artcart.de) von dem Deutschen Mario Hertuega.
Aber der immaterielle Aspekt des grössten Teils der gegenwärtigen Netzkunst verbietet es eigentlich, aus ihr eine verkaufbare Ware zu machen. Webkunst wie die des niederländisch-belgischen Duos Jodi (www.jodi.org) oder des Amerikaners Ben Benjamin, der unter dem Namen Superbad (www.superbad.com) seine Arbeiten im Netz zeigt, bestehen fast ausschliesslich aus HTML-Seiten, die kaum verkäuflich sind. Obwohl es in den letzten Jahren auch eine Reihe von Internet-Skulpturen und -Installationen wie die von dem Amerikaner Ken Geldberg (www.ieor.berkeley.edu/~goldberg/) oder dem deutschen Duo Blank/Jeron (www.sero.org) entstanden sind, bewegen sich die meisten Netzkünstler so ausschliesslich im Internet, dass eine materielle Reproduktion ihrer Arbeiten schwierig oder gar unmöglich ist.
Dass hat ihre Rezeption durch die Kunstszene schwierig gemacht: Denn Netzkunst existiert jenseits der üblichen Vertreibskanäle des Kunstbetriebs. Sie braucht keine Galerien oder Museen, sondern kann auf eine autonome Distributionsstruktur zurückgreifen. Viele Künstler, die sich mit dem Internet beschäftigen, sehen es sogar als besonderen Vorteil des neuen Mediums, dass es eine gewisse Unabhängigkeit von den traditionellen Institutionen der Kunstwelt erlaubt. Darum sind auch eine Reihe von selbstorganisierten „Art Servern“ entstanden, die sich als ein Gegenstück zu den von Künstlern betriebenen Produzentengalerien begreifen lassen: „The Thing“ (www.thing.net) oder „adaweb“ (www.adaweb.com) aus New York verstehen sich bereits seit Mitte der 90er Jahre als unabhängige Plattformen für Kunst, die speziell für das Internet entstanden sind. Und hier finden sich auch viele der besten Netzkunstarbeiten, die aus Begeisterung für das neue Medium und ohne die Unterstützung von grossen Kunstinstitutionen geschaffen wurden.
Netzkunst handelt im und vor allem vom Netz. Sie arbeitet mit den besonderen Eigenschaften des Internets, mit seiner Technologie, mit seinen Protokollen: Sie ist darum „netzspezifisch“. Damit steht sie in der historischen Tradition der Moderne, in der Selbstreferentialität immer eine wichtige Rolle gespielt hat.
Gleichzeitig sind Netzkünstler immer wieder mit Hackern verglichen worden, weil sie zu denjenigen gehören, die die neue Technologie der Computernetzwerke weiter ausgereizt und gegen ihre Benutzungslogik verwendet haben. Viele der besten Netzkunstarbeiten - wie die des Briten Heath Bunting (www.irational.org/heath) oder des Russen Alexei Shulgin (www.easylife.org) können darum als experimentelle Internet-Anwendungen beschrieben werden, weil sie auf zuvor unbekannte oder ungedachte Weise das Netz gegen den Strich bürsten und das neue Medium dadurch kritisch hinterfragen. Besonders radikal geht zum Beispiel das Londoner Kollektiv I/O/D (www.backspace.org/iod) vor, das gleich seinen eigenen Browser programmiert hat, der wenig mit dem Netscape Navigator oder dem Internet Explorer von Microsoft zu tun hat.
In den letzten beiden Jahren ist das Erstellen von eigenen Programmen sogar ein eigenes Subgenre der Netzkunst geworden, weil hier besonders gründlich die Struktur der Internettechnik untersucht und kritisiert werden kann. Zu den Künstlern, die sich in diesem Zusammenhang besonders engagiert haben, zählt der New Yorker Maciej Wisniewski mit „Netomat“ (www.netomat.net) und die Londoner Tom Corby und Gavin Baily mit „Reconnatire“ (www.reconnoitre.net/). Auch Computerspiele sind zu einem wichtigen Thema der Netzkunst geworden: Jodi haben sich bei ihrer Arbeit „SOD“ (http://sod.jodi.org) dem Spiel „Wolfenstein“ angenommen. Die Österreicher Margarete Jahrmann und Max Mosswitzer haben unter dem Künstlerpseudonym „Konsum.net“ mit „Linx3d“ eine Version des Spiels „Quake“ (www.konsum.net/linx3d/) geschaffen; auch bei der Ausstellung „Reload“ (www.re-load.org/) der Shift Galerie in Berlin waren „Gamespatches“, also modifizierte Versionen von beliebten Games, von Künstlern zu sehen.
Die Netzkunst der Gegenwart geht also schon lange über die Produktion von Homepages und Websites hinaus. Sie hat sich aller Erscheinungsformen moderner Computerkultur angenommen, und liefert einen fortlaufenden Kommentar zu der Entwicklung von Internet und Computervernetzung. Denn auch wenn Netzkunst bereits auf Grossausstellungen wie der documenta X, der diesjährigen Whitney-Biennale oder der ganz der Netzkunst gewidmeten Show "net_condition" am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) vorgestellt worden ist, mag die Szene als Ganzes für Außenstehende unübersichtlich und verwirrend wirken.
Die Interviews, die in Zukunft an dieser Stelle erscheinen werden, sollen einen ersten Einblick in diese komplexe Materie erlauben und dabei den Schöpfern der Netzkunst das erste Wort geben. Denn die Künstler, die sich mit dem Internet beschäftigen, gehören auch zu den luzidesten Kritikern und Kommentatoren des neuen Mediums. Ihre Gedanken und ihre Selbstzeugnisse sollen bei der Netzkunst-Serie von kunstmarkt.com im Mittelpunkt stehen, die in Zukunft Interviews und Portraits von wichtigen Künstlern der Netzkunst präsentiert, die schnellen Entwicklungen in dieser jungen Kunstgattung dokumentiert und für Außenstehende nachvollziehbar macht.
Tilman Baumgärtel (34) ist Redakteur bei der Berliner Zeitung und hat das Buch "net.art - Materialien zur Kunst im Internet" beim Verlag für Moderne Kunst (Nürnberg 1998) veröffentlicht.
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