Auf der elegant geschwungenen Erasmusbrücke, die die Rotterdamer Innenstadt mit den alten Überseekais verbindet, herrschte Dauerstau. Zur 10. Art Rotterdam kamen die Besucher offenbar gern mit dem Auto. In diesem Jahr setzte die Messe auf Synergieeffekte: Parallel zur Kunstmesse eröffnete einen Tag zuvor auch die kleine, übersichtliche und bis auf wenige Ausnahmen rein niederländische Designmesse Object Rotterdam mit nur 21 Ausstellern. Das Angebot dort ist, abgesehen von einigen puristischen, zeitlosen und funktionalen Entwürfen, zumindest für den deutschen Geschmack oft allzu verspielt und gagfreudig. Messedirektor Michael Huyser beschreibt es so: „Das holländische Design spiegelt oft auch die Volksseele wieder: Es ironisiert Großmutters Tasse, ist witzig, verspielt und humorvoll. Die junge Generation in Holland ist geprägt von den Gags in den Werbespots. Entweder sind sie sehr politisch ausgerichtet oder extrem funorientiert.“
Doch auf der Object Rotterdam konnte man auch Entdeckungen machen. Zu den Besonderheiten der niederländischen Designszene gehört die strenge Limitierung der Entwürfe auf nur wenige Exemplare. Das beste Beispiel für diese Art der verknappenden und am Kunstmarkt orientierten Vermarktung liefert die auf „Limited Editions“ spezialisierte Galerie Priveekollektie Contemporary Art|Design aus Heusden, die auch an der Design Miami in Miami und Basel teilnimmt. Die Entwürfe hier sind aus den edelsten Materialien handwerklich gefertigt und erfüllen damit höchste Ansprüche. Dave Keunes futuristisch anmutender Lounge Chair mit Fußhocker etwa trägt den Namen „Stealth“ und stößt damit ein breites Assoziationsfeld auf, das insbesondere an die aerodynamischen Formen von Tarnkappenbombern, Fantasy-Raumschiffen und Muscle Cars der 1970er Jahre denken lässt. Ein männlich-markantes James Bond-Möbel entweder aus hochglanzpoliertem Edelstahl mit hellem Leder oder aber ganz in Schwarz mit pulverbeschichtetem Stahl und schwarzem Leder (Auflage 8 + 2 AP, jeweils als Paar für 6.900 Euro). Weitere spektakuläre Entwürfe wie Roderick Vos’ insektenartig geformte Chaiselongue aus gegossenem Aluminium oder der aus Glas- und Kirschholzelementen zusammensteckbare Cliclounger des jungen deutschen Designers Alexander Pelikan runden hier das avantgardistische Angebot ab.
Zu den bekanntesten Designbüros in den Niederlanden zählt nach wie vor das 1993 von Renny Ramakers und Gijs Bakker gegründete Studio Droog Design. Droog – niederländisch für „trocken“ – steht für eine bestimmte Art subtilen niederländischen Humors, der allerdings auch im Ausland gut ankommt. Stores in Tokio und ab Ende Februar auch in New York zeigen das. Am Stand hier: Eine auf 13 Exemplare limitierte, kleinere Version des Droog-Klassikers „Chest of Drawers“ (Preis 60.000 Euro). Die von einem Stahlband zusammengehaltenen, ausgedienten Schubladen liefern zudem ein Beispiel für Nachhaltigkeit à la Hollandaise. Außerdem im Sortiment: Tejo Remys „Rag Chair“, ein Sessel aus verschnürten Altkleidern, oder Chung-Tang Hos „Push and store cabinet“, eine schwarze Kommode, deren ausgehöhltes Inneres mit übereinander gestapelten, schwarz gestrichenen Holzlatten gefüllt ist. Stellt man vorne ein Buch hinein, so schieben sich die Latten nach hinten raus. Zum An-die-Wand-Stellen ist das sperrige Möbel daher nur bedingt geeignet.
Was das soll? Dazu Roderick Van der Lee von Droog Design: „Niederländisches Design stellt den alten Grundsatz ‚form follows function’ in Frage. Es versucht zunächst, das Wesentliche eines Gegenstandes zu bestimmen und spielt dann mit der Form.“ Gelehrt wird solcherlei kreatives Querdenken an der „School of Cool“, wie das amerikanische Time Magazine vor kurzem die renommierte Design Academy Eindhoven nannte. Hier in den ehemaligen Produktionshallen der Philips-Glühlampen-Fabrik wird an der individuellen Ausdrucksform jedes einzelnen Studenten gezimmert. Ehemalige wie Richard Hutten, Hella Jongerius, Maarten Baas oder Marcel Wanders gehören längst zu den Aushängeschildern niederländischen Designs in der Welt.
Vielleicht hätte man auf der Object Rotterdam einfach weniger Schmuck und neofolkloristischen Porzellannippes zeigen sollen, denn die Stärken der niederländischen Szene liegen eindeutig im Möbel-, Produkt- und Alltagsdesign. In den ehemaligen Fruchthallen am Hafen reihen sich die Designstudios aneinander. Richard Hutten residiert hier ebenso wie das junge und überaus energiegeladene Trio „De Makers van“. Es genießt in den Niederlanden bereits den Status von Popstars. Die beiden Brüder Jeroen und Joep Verhoeven und ihre Partnerin Judith de Graauw arbeiten frei nach dem Motto „Wir respektieren das Alte, aber wir wollen das Neue“. Zu ihren jüngsten Entwürfen gehört etwa „Light Wind“, eine kleine Straßenlaterne mit einem Windkraft-Propeller oben drauf. Das knuffige, von den holländischen Windmühlen inspirierte Ding begeistert nicht nur Designfans. Es gab auch schon Anfragen aus Dritte Welt-Ländern ohne flächendeckende Stromversorgung. Ab Herbst 2009 wird es in der Londoner Galerie Haunch of Venison eine größere Präsentation neuer Entwürfe geben. Jeroen Verhoeven betrachtet die zweite Ausgabe der Rotterdamer Designmesse eher als Experimentierfeld denn als Prestigeveranstaltung: „Auf der Object wird kein High End-Design gezeigt. Es werden eher die jungen Emerging Designer präsentiert. Die Privatjets sind hier bisher noch nicht eingeflogen, wie sie es in Basel tun. Aber die Leute, die da kommen, haben ja auch ihr Bankkonto in der Schweiz.“
Auch wenn bei der Designmesse noch nachgebessert werden muss: Die Zusammenführung der beiden Veranstaltungen ist auf jeden Fall ein geschickter Schachzug der Messeleitung, um Designliebhaber auf die Kunstmesse zu locken und umgekehrt. So gelang es der Art Rotterdam in diesem Jahr, das überwiegend niederländische und belgische Publikum zahlreich ins Cruise Terminal zu holen. Am Sonntagabend zählte man 12.500 Besucher. Gegenüber 2008 eine Steigerung um 15 Prozent. 73 Galerien aus 10 Ländern waren angereist. Sensationelle Neuerungen und frische Namen entdeckte man aber nur wenige. Messedirektor Michael Huyser räumt ein: „In diesem Jahr sind viele Galerien auf sicher programmiert“.
Krisenbedingt setzten viele Händler auf eingeführte Namen oder brachten wie etwa der Kunsthandel Meijer aus Utrecht kunsthistorisch abgesicherte Editionen von Lucio Fontana, Robert Rauschenberg oder Joseph Kosuth mit auf die Messe. Offenbar eine richtige Strategie. So ging etwa Kenneth Nolands 1968 entstandene Edition „Shadow Lines“ (Auflage 150) in eine renommierte Sammlung. Die Politik der Messeleitung, die Standgebühren um mehr als 20 Prozent anzuheben sowie die zusätzlich fällige Kostenpauschale pro Stand ebenfalls kräftig zu erhöhen, sorgte allerdings zumindest bei befragten deutschen Galerien für Irritationen und Unmut. Ein Berliner Galerist äußerte Unverständnis: „Die Messe ist deutlich teurer geworden, obwohl wir uns in eine weltweite Wirtschaftskrise hineinbewegen.“ Sorgen, die Lücken aufzufüllen, hatten die Rotterdamer angesichts von rund 160 Anmeldungen allerdings auch wieder nicht. Der Preis, den sie dafür zahlten, war jedoch in diesem Jahr eine stärkere Regionalisierung.
Aus der deutschen Kunsthandelsmetropole Berlin dabei waren nur die Kunstagenten mit einer gelungenen Solopräsentation des Hamburgers Thorsten Brinkmann. Galerist Andreas Wiesner freut sich über etliche Verkäufe und Reservierungen: „Brinkmann hatte im vergangenen Jahr eine Einzelausstellung im Museum für aktuelle Kunst in Den Haag. Dadurch hatten wir gute Resonanz gerade bei niederländischen Kuratoren und Sammlern.“ Fotografien von temporären Skulpturen, die Brinkmann mit großer Leichtigkeit aus allen möglichen gefundenen Materialien, die er in seinem Atelier hortet, zusammenbaut, kosten zwischen 6.600 Euro (große Formate, Auflage 5) und 2.200 Euro (kleine Formate, Auflage 5).
Der mit 10.000 Euro dotierte Illy Prize ging in diesem Jahr an die Britin Susan Collis, Jahrgang 1956. Collis präsentierte einen fleckig und abgenutzt wirkenden Straßenbesen, in dessen Inneren man jedoch bei näherem Hinsehen eine bunte Glitzerwelt aus Edelsteinen entdecken konnte. Gute Stimmung herrschte bei ihrer Londoner Galerie Seventeen, die ihren Stand mit sechs weiteren Arbeiten von Susan Collis fast vollständig ausverkaufen konnte.
Die Rotterdamer Galerie Cookie Snoei erregte Aufsehen mit einer thematischen Ausstellung. Unter dem Titel „The Beauty and the Beast“ versammelte sie Arbeiten verschiedener Künstler, die sich in unterschiedlicher Weise mit dem Thema Mensch und Tier auseinandersetzen. Das Gemälde des Berliner Malers Norbert Bisky zeigt einen Furcht erregenden Wolf mit Blut verschmiertem Maul. Das linke Auge ist grün, das rechte blau. Das kleinformatige Ölgemälde trägt den Titel „Carrie“ und wurde für 9.500 Euro angeboten. Ein cooles, zweieinhalbminütiges Video der Niederländerin Risk Hazekamp stellte eine dominahafte Frau im engen schwarzen Cat Suit vor, die mit einer weißen Katze an der Leine auf High Heels einen Waldpfad entlanggeht. Die Videoarbeit trägt den Titel „Cat Woman“ und wurde für günstige 250 Euro in einer 25er-Auflage angeboten.
Die Witzenhausen Gallery mit Sitz in Amsterdam und neuerdings auch in New York setzte auf in Holland eingeführte Namen. Am Stand hingen Gemälde des in den Niederlanden sehr geschätzten Malers Roland Schimmel. Die abstrakten Punkterasterbilder mit Flimmereffekt des 54Jährigen sind beispielsweise in der Sammlung des Rotterdamer Museums Boijmans van Beuningen vertreten. Galerist Jacob Witzenhausen analysierte die Marktsituation folgendermaßen: „Die holländische Situation ist komplett abgekoppelt vom globalen Kunstmarkt. Es gibt in den Niederlanden eine gute Anzahl von Privatsammlern mit einem jährlichen Budget von 20.000 bis 40.000 Euro. Die kaufen gern bei niederländischen Galerien.“
Aus dieser Loyalität der Sammler zu den einheimischen Galerien lassen sich wohl der Erfolg und die hohe Besucherzahl der Art Rotterdam erklären. Gerade in diesem Jahr gelang es der Messe, auch viele Freundeskreise von Museen und Sammlerkreise aus Belgien und Frankreich nach Rotterdam zu locken. Ein attraktives Nebenprogramm mit Besuchen in Designstudios und einem Ausflug in neue, noch zu erschließende Hafengebiete, in denen im Laufe dieses Jahres ein ambitioniertes Kunstprojekt realisiert werden soll, hat der Art Rotterdam und der Object Rotterdam sicherlich Auftrieb verschafft.
www.objectrotterdam.com
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