Franz Xaver Messerschmidt gilt bis heute als einer der faszinierendsten Bildhauer des 18ten Jahrhunderts. Selbst wer mit dem Namen des deutsch-österreichischen Künstlers nichts verbindet, ist seinen berühmtesten Werken, lebensgroßen Büsten ausschließlich männlichen Geschlechts, sicher schon einmal begegnet. Seine „Köpfe“ oder „Köpf-Stückhe“, wie Messerschmidt selbst die mehrdeutigen und irritierenden Gesichter nannte, provozierten seine Zeitgenossen zu ablehnenden Kommentaren. Die Konfrontation mit den grotesken, grimassierenden, schreienden, lachenden und starrenden Köpfen löste Befremden und Faszination zugleich aus.
Heute zählen die sogenannten „Charakterköpfe“ von Franz Xaver Messerschmidt zum Besten, was die spätbarocke Skulptur in Europa hervorgebracht hat. Die ungebrochene Wertschätzung verdanken sie vor allem ihrer ambivalenten Mimik, die gleichzeitig irreal und natürlich ist. Ihre anhaltende Wirkung beruht aber sicherlich auch auf der Tatsache, dass zeitgenössische Künstler wie Francis Bacon, Louise Bourgeois, Bruce Nauman, Cindy Sherman und Arnulf Rainer sich vom radikalen Verismus des Messerschmidtschen Spätwerks angesprochen fühlen und dessen fesselnde Wirkung in eigenen Werkgruppen verarbeiten. So wurde Messerschmidts Œuvre in zahlreichen Ausstellungen nicht allein als Phänomen seiner Zeit untersucht, sondern – vor allem in den letzten Jahren – gemeinsam mit denen zeitgenössischer Künstlerkollegen exponiert.
Derzeit kann man im Unteren Belvedere in Wien eine Ausstellung sehen, die Messerschmidts Köpfe mit neuen Werken des britischen Bildhauers Tony Cragg konfrontiert. Bereits vor sechs Jahren, damals noch unter der Leitung von Gerbert Frodl, zeigte das Belvedere das Lebenswerk von Messerschmidt, dessen weltweit größten Bestände, darunter 16 der insgesamt 69 Köpfe, die renommierte Institution besitzt.
Wien war die Stadt, in der Messerschmidt nach Lehrjahren in München eine glanzvolle Karriere begann. Er avancierte zum begehrten Porträtisten der Wiener Aristokratie und Gelehrtenwelt und erhielt mit 33 Jahren eine Substitutsprofessur an der kaiserlichen Kunstakademie. In den 1770er Jahren kam es angeblich zum Ausbruch einer psychotischen Krankheit. Die Messerschmidt rechtlich zustehende Professor an der Akademie wurde ihm mit der Begründung verweigert, er leide an einer „Verwürring im Kopf“. Sie führte zu seiner Abkehr von Wien und der höfischen Kunstwelt. Messerschmidt zog sich zurück, zuerst an seinen Geburtstort auf der Schwäbischen Alb, dann nach Pressburg, wo er wohl die Mehrzahl der „Charakterköpfe“ schuf und 47jährig wahrscheinlich an den Folgen einer schweren Lungenentzündung starb.
Agnes Husslein-Arco, seit Januar 2007 Direktorin des Belvedere, erfüllt sich mit der Ausstellung „Tony Cragg versus F. X. Messerschmidt“ den Wunsch, einen neuen Blick auf das bildhauerische Wirken dieses von seinen Zeitgenossen verkannten Künstlers zu werfen und zudem zwei unterschiedliche Positionen miteinander in Dialog zu setzen. Dass ihre Wahl auf Tony Cragg fiel, begründet sie mit der Auffassung, dass „seine Überlegungen zur Skulptur und deren Möglichkeiten neue Aspekte in Messerschmidts Werk aufzeichnen, die über das Sinnen von Zweck und Entstehungsmoment seiner berühmten Charakterköpfe hinausgehen“. Husslein-Arco konzediert in ihrem Vorwort, dass die beiden Bildhauer „auf den ersten Blick nicht viele Gemeinsamkeiten aufweisen“, doch dass „bei genauerer Betrachtung offensichtlich wird, dass beide Künstler, jeder in seiner Zeit, ähnliche Anliegen, vor allem eine konsequente Bereitschaft zum Experiment und zur Suche nach neuen Inhalten und Formen teilen“.
Nun bietet solch eine Disposition nicht gerade die stabile Grundlage für einen spannenden Vergleich. Die erfreulich großzügige Präsentation der Werke verdeutlicht daher eher die Unterschiede, als dass sie Gemeinsamkeiten sichtbar macht. Hier erstarrte Gesichtszüge, die von dem sorgfältigen Studium der Ausdrucksmöglichkeiten menschlicher Physiognomie zeugen, dort Tony Craggs mehransichtige Plastiken, die vor allem eines sind: komplexe Untersuchungen zum Verhältnis von Körper, Materie und Objekt. Seine Werke sind organische und rhythmisierende Strukturen, die bei allem artifiziellen Charakter etwas Natürliches, geradezu Körperhaftes in sich bergen. Bei Messerschmidt herrschen die Symmetrie in klassischer barocker Auffassung, grimassierende Gesichter, Mimiken unter extremem Verformungsdruck und Ausdrucksgebaren, die weniger als Erscheinung von Gefühlen, denn vielmehr durch ihre Tendenz zur Verschließung des Inneren überraschen.
Craggs Werke hingegen zeichnen sich vor allem durch ihre Lebendigkeit aus. Sie vermitteln niemals eine einzige Sichtweise oder ein einziges gültiges Bild, sondern wachsen im Prozess der Anschauung zu komplexen Phänomenen, deren Wirkungen unterschiedliche Ebenen unseres Verständnisses berühren. Cragg lässt Körperhaftes, vor allem Gesichter, im Wahrnehmungsprozess aufscheinen und wieder verschwinden und führt vor, dass Entstehung und Wahrnehmung prozesshaft und als solche lebendige Vorgänge sind. Die Essenz der Plastiken von Tony Cragg ist der Wandel, der relevante Übergang in dem Sinn, dass die Form einen Anfang und ein Ende hat und ein Dazwischen. Und so bietet die Ausstellung „Tony Cragg versus F. X. Messerschmidt“ nicht mehr und nicht weniger als den Zeitvergleich zwischen zwei singulären bildhauerischen Positionen, die sich, ob ihrer Verschiedenheit, höchst wirkungsvoll kontrastieren.
Die Ausstellung „Tony Cragg versus F. X. Messerschmidt“ läuft bis zum 25. Mai. Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch von 10 bis 21 Uhr. Der Eintritt beträgt 9,50 Euro, für Senioren ab 60 Jahren 7,50 Euro und für Studenten bis 27 Jahren 6,50 Euro. Für Kinder bis zu 5 Jahren ist der Eintritt frei. |