Sein Name verkörpert den CoBrA-Künstler par excellence. Karel Appels Malerei steht wie ein Markenzeichen für den „revolutionären Surrealismus“, in den solch stimulierende Einflüsse wie die Bildnerei außereuropäischer Kulturen, Art Brut und Kinderzeichnungen einflossen. Unbestritten gilt Appel, der vor zwei Jahren in Zürich verstarb, als der wichtigste niederländische Künstler der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts. Nachdem das Danubiana Meulensteen Museum in Bratislava 2005 eine umfassende Retrospektive seiner Kunst zeigte, unternimmt derzeit die nur sechzig Kilometer entfernte Albertina in Wien den Versuch, eine besondere Facette in Karel Appels Schaffen zu beleuchten. Das renommierte Haus präsentiert zwölf monumentale Aktzeichnungen, die in den Jahren 1984 bis 1989 entstanden und ermöglicht einen frischen Blick auf den Vollblutmaler, der das antiakademische Stilprinzip zum Maßstab jener Kunst erhob, die das Fühlen über das Sehen stellte.
Im Umkreis des Abstrakten Expressionismus hatte Karel Appel in der 1950er Jahren Teil an jener internationalen Bewegung, die unter forciertem körperlichen Einsatz die Abstraktion vorantrieb, ohne jedoch die spirituell-mystische Ausrichtung zu zeigen, die den Bildern des Abstrakten Expressionismus eigen ist. Im Gegensatz zur informellen Malerei der Ecole de Paris und dem amerikanischen Expressionismus waren Karel Appel und die Künstler der CoBrA an der Gegenständlichkeit interessiert und führten abstrakte Tendenzen mit der Tradition des europäischen Expressionismus zusammen.
Tatsächlich hat CoBrA formell als Gruppe kaum länger als zwei Jahre, von 1948 bis 1951, bestanden – jene Gruppe, zu deren Gründungsmitgliedern neben dem Dänen Asger Jorn, den Belgiern Pierre Alechinsky und Corneille und dem Niederländer Lucebert eben auch Karel Appel gehörte. Eine Vereinigung, die trotz ihrer Kurzlebigkeit legendär wurde und letztlich auch Appels Ruhm und den seiner Kollegen begründete. Eine erste Gruppenausstellung „experimenteller“ Kunst fand 1949 in Amsterdam statt. Hier reagierte das zeitgenössische Publikum jedoch mit Ablehnung und Empörung auf die Bilder. Bereits 1950 übersiedelte Appel nach Paris, wo er eine offenere Atmosphäre für seine künstlerischen Vorstellungen vorfand. Unbeirrbar hielt Appel an der Malerei und an seiner individuellen Handschrift fest. Mit gestischem Pinselduktus und intensiver Farbigkeit setzte er Figuren, die unmittelbar, subtil und grob, wie von Kinderhänden gestaltet, auftraten. Die Suche nach einem Abbild, expressive Übersteigerung und abstrakte Farbflächen trafen in diesen Werken auf genuine Weise aufeinander.
Mitte der 1950er Jahre taucht das Motiv des Aktes erstmals verstärkt und eigenständig auf. Gemalt sind diese Aktdarstellungen ganz in Appels Stil jener Zeit: expressiv und pastos. Die meisten Bilder sind derart abstrakt, dass ihr Gegenstand kaum mehr als Akt erkennbar ist. Auch die Titel dieser Werke wie „Tragischer Akt“, „Leuchtender Akt“ und „Roter Akt“ verweisen mehr auf Überlegungen zur Farbwahl und Komposition als auf Persönlichkeitsstudien.
Zu Beginn der 1960er Jahre bleibt Appel weiterhin an dem Thema, verändert jedoch seine Palette. Er bevorzugt Weiß, ein helles Gelb und Ockertöne und setzt die Akte konsequent vor weiße Gründe. Appel arbeitet nun mit Modellen, Freundinnen, seiner „großen Liebe“ Machteld van der Groen, die wie jene als Mannequins arbeitete. Insgesamt lassen die Akte, die bis 1963 entstehen, die stilistische Weiterentwicklung Appels hin zu einem stärkeren Naturalismus und einer konkreteren Wiedergabe seiner Modelle nachvollziehen. 1963/64 würdigen zwei Ausstellungen in Paris und in New York erstmals die Auseinandersetzung Appels mit dem traditionsbehafteten Sujet.
Erst zwanzig Jahre später, Mitte der 1980er Jahre, entdeckt Karel Appel den Frauenakt neu. Die Zeichnungen, die dank der Schenkung eines anonymen Mäzens, in der Pfeilerhalle der Albertina zu sehen sind, markieren eindrucksvoll Appels Wiederaufgreifen der Thematik. Ihren bildhaften Charakter erhalten die Skizzen durch das monumentale Format der Papiere. Vor weißen Gründen skizzierte Appel mit schwarzen, spontan gesetzten Strichen Abbilder der ausnahmslos weiblichen Modelle. Helle Blautöne, Violett und Ockerfarbe geben den Akten den Anschein von Körperlichkeit. Meist liegend als Querformat, seltener stehend oder hockend, wirken die Frauenakte vor den weißen, durch wenige helle Strichlagen definierten Hintergrund, wie dahingegossen.
Bevorzugte Materialien sind Acryl und Ölkreiden, die Appel sparsam verwendet. Die reiche malerische Geste, der Furor früherer Arbeiten scheint nahezu beruhigt. Aus der Welt des Zeichnens kommt das Betonen des Elementaren. Mit unverbundenen Strichen legt Appel Tiefen und Volumen fest. Bewusst bezieht er klassische Proportionen, eine fast akademisch zu nennende Behandlung von Form, Aufbau und Komposition in seine Zeichnungen mit ein und verleiht den Körpern anthropomorphe Formen. Ohne konkrete Abbilder des Körpers schaffen zu wollen, ist er an den Urbildlichkeiten des Menschlichen interessiert, jenem Thema, das ihn im konzentrierten Alterswerk bis zu seinem Lebensende beschäftigt.
Die Ausstellung „Karel Appel. Monumentale Aktzeichnungen“ ist noch bis zum 10. Februar zu sehen. Die Albertina hat täglich von 10 bis 18 Uhr, mittwochs zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 9,50 Euro, ermäßigt 8 beziehungsweise 7 Euro. |