 |  | Galerie Klara Wallner, Berlin – Wand mit Künstlern der Galerie | |
Auf dem Berliner Messegelände herrscht zur Zeit Hochbetrieb. Und ab und zu geraten dabei auch zwei Welten durcheinander, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben: Edel in Schwarz gewandetes Kunstpublikum mischt sich mit hageren Marathonläufern und muskelgestählten Ausdauersportlern in bunten Trainingsjacken, die vom Berlin Marathon und einer Sportmesse in die Stadt gelockt wurden. Wem jedoch in diesen Tagen mehr Ausdauer abverlangt wird, den Marathonis oder dem Kunstvolk, ist schwer zu sagen. Der Parcours führt jeweils durch die ganze Stadt, und jeder will der Erste im Ziel sein. Dreh- und Angelpunkt der Kunstwelt jedenfalls ist noch bis einschließlich Mittwoch das 12. Art Forum, Berlins größte Kunstmesse, die 136 Galerien aus 23 Ländern, neben Deutschland überwiegend aus den USA, Frankreich und Skandinavien, präsentiert.
Viele Sammler sind nach Berlin gereist und stöbern in bester Kauflaune über das Art Forum, schauen je nach Zeitbudget bei einer der drei Nebenmessen vorbei und besuchen auch die vielen Berliner Galerien, von denen etliche große wie Neu, Neugerriemschneider oder Johann König ganz bewusst auf keiner der Messen vertreten sind. Man präsentiert sein Angebot lieber in den eigenen, oft sehr ausladenden Räumen. Pünktlich zum Art Forum eröffnen aber auch etliche neue Galerien. Gerade Galeristen aus Köln und Düsseldorf wollen in Berlin jetzt unbedingt mit einer Dependance vertreten sein. Doch auch international erhält die Kunststadt Berlin immer mehr Zuspruch. Galeristin Nina Menocal aus Mexico City zum Beispiel stellt begeistert fest: „Berlin ist zu einer kosmopolitischen und ruhelosen Metropole geworden. Ich komme seit Jahren auf die Messe und habe mitbekommen, wie sie immer dynamischer und prestigeträchtiger wurde.“
Auf dem Art Forum herrschte am Vernissagetag schon nach mehreren Stunden drangvolle Enge. Philipp Ziegler von der Stuttgarter Galerie Hauff: „Es war so viel los, so voll war es noch nie auf dem Art Forum.“ Viele Kuratoren, auch aus dem Ausland, hätten vorbeigeschaut. Eyecatcher am Stand von Hauff sind zwei großformatige Fotoarbeiten der New Yorkerin Josephine Meckseper, 43, für je 22.000 Euro. Sie zeigen die altmodisch arrangierten Schaufenster eines Stuttgarter Miederwarengeschäftes.
Das diesjährige Motto des Art Forum lautet – durchaus ironisch zu verstehen – „About Beauty“. Der Schönheitsbegriff ist natürlich dehnbar. Kunst darf auch mal irritieren und verstören. Hintergründig und intelligent geht es am Stand der Berliner Galerie Jan Winkelmann zu. Dennis Loesch, Jahrgang 1979, nimmt die auffällige Designerbrille von Yves Saint Laurent zum Ausgangspunkt seiner Arbeit. Er setzt das schwarze Brillenmonster verschiedenen Personen auf die Nase und macht Schwarzweiß-Fotos, die er zerschneidet und dann wieder collagiert. Der Effekt sind Mehrpersonenporträts mit surreal geformten Sehhilfen, die dann von einer kleinen norddeutschen Manufaktur als Unikate produziert werden (Fotos zwischen 1.900 und 4.200 Euro, Brillenskulpturen 2.800 Euro). Weiter am Stand rhythmisierte schwarze Lackstiftzeichnungen des Berliner Malers Carsten Fock, 39, für 6.500 Euro. Eine weitere Entdeckung ist auch der junge Leipziger Bildhauer Philipp Köhler, Jahrgang 1972. Er hat außerhalb der Koje eine Art Arbeitssituation aufgebaut. Der Clou sind dabei die verblüffenden Materialien: Ein roter Brandmelder entpuppt sich als Fotoattrappe, eine Steckdose schwebt frei im Raum, ein Ohrenschutz ist aus schwerem Backstein und ein mächtiger Hubwagen mit dem Signet des Künstlers aus superleichtem Schaumstoff (Objekte zwischen 1.000 und 4.800 Euro).
Arbeiten zwischen Härte und Eleganz zeigt die auf gesellschaftliche Widersprüche und Gewalt in ihrer Heimat spezialisierte Mexikanerin Teresa Margolles, 45, dann bei Peter Kilchmann aus Zürich. Ein Armband aus 10 Karat Gold ist mit unscheinbaren kleinen, grünen Glasscherben verziert. Die stammen von einer Autoscheibe, die bei einer tödlichen Schießerei im Drogenmilieu zersplitterte – Margolles war Zeugin (Unikat, 8.000 Euro). Daneben Fotos von modernistischen Kinopalästen, deren Anzeigetafeln zynischerweise statt Filmtitel Ausschnitte aus Abschiedsbriefen jugendlicher Selbstmörder zitieren für jeweils 10.000 Euro. Ein Diptychon prangert wiederum die sich immer schneller drehende Gewaltspirale im Drogenkrieg an: Eingeschweißte Fotos von anonymen Gewaltopfern aus dem Leichenschauhaus werden zum Schnüffeln von Kokain benutzt – provokanter geht es kaum (12.000 Euro, Auflage 4).
Politisch brisant sind auch die Foto- und Videoarbeiten der Spanierin Dora García, 42, bei der Amsterdamer Galerie Ellen de Bruijne Projects. Garcia besorgte sich das Bildmaterial aus den Archiven der Stasi. Auf alltäglich wirkenden schwarzweißen Aufnahmen, die Garcia in kleinen Gruppen zusammenstellt, sieht man rauchende Frauen, eine plaudernde Gruppe auf Gartenstühlen oder Menschen beim FKK-Urlaub – dem wachsamen Auge der Obrigkeit blieb offenbar selbst die harmloseste und privateste Aktivität nicht verborgen. Die Augenpartien sind auf diesen Bildern jeweils geschwärzt (3.800 bis 5.000 Euro, Auflage 3 + 1 AP). Um Architektur und großstädtische Lebensräume geht es dann in den großformatigen realistischen Zeichnungen in Mischtechnik von Ina Weber, Jahrgang 1964, die in Berlin lebt. Am Stand der Wiener Galerie Georg Kargl zeigen sie Umzugswagen der in der Hauptstadt allgegenwärtigen Speditionsfirma „Robben und Wientjes“ oder die schäbig und improvisiert wirkende kleine Pizzeria „Jasmin“, eingepfercht in eine architektonisch dichte, urbane Szene (je 3.500 Euro).
Wer schon immer einmal einen Neo Rauch besitzen wollte, kann bei Eigen + Art mit Standorten in Berlin und Leipzig ausnahmsweise einmal etwas günstiger zuschlagen. Er erhält dafür aber auch kein Gemälde. Im Angebot ist eine 8teilige Mappe mit Kreidelithografien, die sich auf Erzählungen des weltabgewandten Zivilisationskritikers Botho Strauß beziehen. Die Auflage liegt bei 35 Stück und kostet jeweils 12.000 Euro. Außerdem gibt es dort großformatige Diptychen mit geheimnisumwitterten, schummerigen Waldlandschaften der in Berlin lebenden israelischen Künstlerin Yehudit Sasportas, Jahrgang 1969, für jeweils 30.000 Euro. Sasportas bespielt in diesem Jahr auch den israelischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Ebenfalls am Stand: ein cool wirkendes Aluminiummodell in Minimal-Optik für eine Rauminstallation von Carsten Nicolai, Jahrgang 1965, in der durch Sound stroboskopartiges Flackerlicht erzeugt wird, für 48.000 Euro.
Großformatige Malerei als Eyecatcher finden sich an gleich mehreren Ständen: Schon vor Beginn des Art Forum wurden die auffälligen Gemälde von Norbert Bisky, 37, verkauft, der neuerdings von der Berliner Galerie Crone vertreten wird. Das voller Hinweise auf homosexuelle Praktiken und Schönheitsideale steckende Apokalypsegemälde „Armageddon“ wurde beispielsweise für 64.000 Euro angeboten. Ein Riesenformat mit mythisch aufgepeppter, opulenter Salon- und Zierratmalerei von Jonas Burgert dann als Hingucker am Stand der Hamburger Produzentengalerie für 120.000 Euro – Geschmacksache. Gleich am ersten Messetag wurde hierfür zumindest eine Reservierung entgegengenommen.
Noch im letzten Jahr wurde einhellig der Trend zur Skulptur ausgerufen. In diesem Jahr ist davon nicht mehr allzu viel zu spüren. Dennoch sind hier und da interessante Skulpturen zu finden, zum Beispiel bei Mehdi Chouakri. Der Berliner hat unter anderem aus gedrechselten Möbelteilen komponierte Stelen von Gitte Schäfer im Angebot. Aus rustikalem Großmuttermobiliar baut die 35jährige Dänin lustige Palmen oder Straßenlaternen (zwischen 2.800 und 5.600 Euro). Ein wunderschöner Blickfang mit kunsthistorischer Referenz dann am Stand der Basler Galerie Friedrich: ein weiß leuchtender Flaschentrockner à la Marcel Duchamp als Neonskulptur der in Paris lebenden walisischen Konzeptkünstlerin Bethan Huws, 46, als 7er Edition für 42.000 Euro.
Auf eine feste Größe kann man sich beim Art Forum verlassen: Helsinki School sells, dafür sorgt schon das Verkaufstalent Timothy Persons am Stand der nichtkommerziellen Galerie der Designhochschule Helsinki. Der umtriebige Fotografieprofessor, Kurator und Nebenerwerbsgalerist erläutert unermüdlich die Vorzüge seiner diesjährigen Neuentdeckung, des dänischen Fotografen Henrik Saxgren, der Bauruinen vor unberührten Naturlandschaften so fotografiert, als wären es skulpturale Arbeiten von Künstlern (8.500 Euro, Auflage 6). Neue Fotoarbeiten dann auch von Stefan Panhans, 40, bei Olaf Stüber, Berlin. Mittlerweile losgelöst von starren Serien, betreibt der Hamburger zeitgenössische Street Photography. „Man weiß nie, wo einem das nächste Motiv begegnen kann“, so Panhans. „Man geht auf die Straße ohne vorgefertigtes Konzept, aber das Milieu bleibt das Gleiche.“ So entstehen Aufnahmen von einem Schießbudenstand auf dem Jahrmarkt oder von einer noch nicht eingerichteten Feinkosttheke voller lakonischer Beiläufigkeit und uninszenierter Präsenz. Die Formate sind jeweils so gewählt, dass die Gegenstände den Betrachter anspringen, ohne ihn jedoch in Gursky-Manier einzuschüchtern (3.600 Euro, Auflage 3).
Die von dem Franzosen Ami Barak kuratierte Sonderschau des Art Forum, „House Trip“, versammelt in diesem Jahr Arbeiten von Messekünstlern zum Thema Environment in einer speziellen, blockartigen Architektur, die an ein Haus erinnern soll. Das Ganze ist jedoch so klaustrophobisch eng geraten, dass viele Besucher fluchtartig an der Kunst vorbeieilen. Ein offeneres Raumkonzept hätte die Arbeiten sicherlich mehr zum Atmen gebracht. Keine Zeit zum Ausruhen: Ob Messehopping, Galerienbummel oder nächtlicher Partyrausch – in Berlin tummelt sich zur Zeit das internationale Kunstpublikum zum Auftakt eines hoffentlich dynamischen und visuell anregenden Kunstherbstes. Die kauffreudigen belgischen Sammler, früher lediglich auf die nahe gelegene Art Cologne abonniert, wurden dieser Tage ebenso gesichtet wie junge Berliner, die das Kunstsammeln gerade erst für sich entdeckt haben. Der Galerist Sönke Magnus Müller: „Ich habe zu fast 90 Prozent an Berliner Sammlungen verkauft. Die dieser Stadt so oft abgesprochene ‚bessere Gesellschaft’ ist längst wieder vorhanden“. Die Stimmung ist also optimistisch. Und nimmt man das rege Interesse, etwa auch an der Präsentation von Highlights der kommenden Londoner Herbstauktionen von Sotheby’s im abgewrackten, aber gerade deshalb charmanten Kirchengemeindehaus Villa Elisabeth in Berlin Mitte zum Gradmesser, dann ist von dem von einigen Kassandrarufern immer wieder beschworenen Kunstmarktcrash in Berlin zur Zeit wirklich nichts zu spüren.
Das 12. Art Forum Berlin ist noch bis zum 2. Oktober täglich von 12 bis 20 Uhr, am 3. Oktober von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 15 Euro, ermäßigt und Abendticket ab 17 Uhr 10 Euro. Der Katalog kostet 25 Euro.
Art Forum Berlin
Messegelände, Halle 18-20
Hammarskjöldplatz/Masurenallee
D-14057 Berlin
Informationen zu den anderen Messen im Internet:
www.berliner-liste.org
www.berlinerkunstsalon.de
www.previewberlin.de
|