 |  | Johann Baptist Seele, König Friedrich von Württemberg im Krönungsornat, um 1806 | |
Wie ist es eigentlich zu erklären, dass in Science-Fiction Filmen Prinzessinnen agieren, entmachtete deutsche Fürstenhäuser die Medienspalten füllen oder Adelige den Glanz gewichtiger Events steigern? Seit langem gibt es ein erstaunliches Phänomen. Verstaubt, überholt, undemokratisch, so werden einerseits oft königliche Repräsentanten tituliert. Andererseits wird wohl speziell in Zeiten des rasenden Wandels und mangelnder Symbolkräfte die subtile Sehnsucht nach monarchischer Kontinuität und Identifikation nie versiegen. Dies beflügelt Forscher und Kuratoren zu bedeutenden Anlässen wie Jahrestagen immer wieder, sich auf die Spuren der Vergangenheit zu begeben. Vor 200 Jahren, am 1. Januar 1806, stieg Württemberg vom Fürstentum zum Königreich auf. Diese Epoche endete nach 112 Jahren am 30. November 1918. Im Gründungsjahr einer zentralen Ära in einem Kerngebiet Deutschlands scheint es angemessen, im Rahmen einer aufwendigen Ausstellung besonders jenen Entwicklungen nachzuspüren, auf denen noch heute unser Handeln basiert. Dies bewerkstelligt das Landesmuseum in Stuttgart mit einer 1115 Exponate umfassenden Ausstellung, die nicht nur wichtige Kunstwerke präsentiert, sonder auch die durchgreifende Neuordnung im Kunst- und Kultursektor darstellt.
Mit ihren unterschiedlichen Vorlieben und Charakteren prägte von den vier württembergischen Königen jeder das Land auf seine Weise. Friedrich, König von 1806 bis 1816, war noch ganz im Absolutismus verhaftet. Nach Wilhelm I., König von 1816 bis 1864, und dem von 1864 bis 1891 regierenden König Karl lief die Monarchie geradezu idealtypisch mit Wilhelm II., den von 1891 bis 1918 an der Staatsspitze stehenden „Bürgerkönig“ aus. Den immer stärkeren demokratischen Strukturen stellte er sich nicht in den Weg.
Nirgendwo in Deutschland bestand seinerzeit ein derart liberales, demokratisches System wie in Württemberg, was der am 6. Dezember 1819 mit der Einberufung des ersten Landtages eingeweihte neue Plenarsaal in seiner Architektur eindrucksvoll demonstrierte. Der so genannte „Halbmondsaal” vom Architekten Gottlob Georg Barth gilt mit seiner „demokratischen” amphitheatralisch abgestuften Sitzordnung im Halbkreis als einer der ersten dieser Art im deutschen Landen. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die in die Ausstellung einleitende, pompöse Inszenierung mit den hohen, ganzfigurigen Staatsporträts der vier Könige samt Thronsessel, Krone und Zepter.
Mit zwei Schwerpunkten werden die 112 Jahre Königsherrschaft im Folgenden aufgefächert. Das wirtschaftliche, industrielle und infrastrukturelle Gedeihen durchzieht als Fundament für alles Weitere die Präsentation. Unter Wilhelm I. begann eine maßgebliche Industrie- und Wirtschaftsförderung. Die wichtigste Entwicklung bestand im Bau der Staatseisenbahnen ab 1843. Benötigte die Postkutsche 1820 noch 40 Stunden von Stuttgart bis Frankfurt, so fuhr 1845 die Eisenbahn in der selben Zeit nach Hamburg und zurück. Dank Gottlieb Daimler und Graf von Zeppelin wurde Württemberg zum Geburtsland des Autos und des Luftschiffes. Nachdem 1886 Daimler eine Kutsche zum Auto umgebaut hatte, ersetzten die seinerzeit über beängstigende 50 Stundenkilometer schnellen, knatternden „Selbstfahrer” Pferdefuhrwerke und Handkarren. Gleichzeitig stieg der erste flugtaugliche Zeppelin bei Friedrichshafen über den Bodensee auf.
Die Landwirtschaft wird allmählich von zahlreichen neuen Industrie- und Fabrikzweigen in den Hintergrund gedrängt. Motoren- und Maschinenfabriken, Textilmanufakturen, deren opulente Musterkollektionen zu bestaunen sind, und Produkte der Württembergischen Metallwarenfabrik WMF demonstrieren das ansehnliche Maß der weit über das Land verteilten Industrialisierung. Eine abwechslungsreiche Objektauswahl thematisiert ebenfalls das Alltagsleben von der harten Fabrikarbeit bis hin zur Kleidung. Die farbenfrohe Betzinger Tracht darf als Markenzeichen für das angeblich unbeschwerte Landleben natürlich nicht fehlen, bot sie doch zudem Malern aus dem In- und Ausland ein Motiv für gut verkäufliche Bilder.
Der der Landes- und Fürstengeschichte gewidmete Bereich stellt kunstgeschichtliche Dinge aus dem Bau-, Ausstellungs- und Kulturwesen vor. Eine allererste Prestigefrage für ganz Württemberg stellte die Vollendung des Ulmer Münsters dar, damals die größte Bauaufgabe im Land. Ab 1841 wurde geplant und im Jahr 1890 war der höchste Kirchturm der Welt vollendet, dessen Originalaufriss samt Modell zu sehen ist. Neben den königlichen Prachtbauten wie die Wilhelma, der exotische Rückzugsort Wilhelms I., das Schloss Bebenhausen als Zeugnis der Jagdleidenschaft Wilhelms II., das klassizistische Schloss Rosenstein oder die 1853 im Neurenaissancestil vollendete Villa Berg stehen neben zahlreichen neuen Kulturinstitutionen, die die Monarchen förderten. Zunächst trafen sich Künstler und Kunstinteressierte noch ausschließlich in Salons. Besonders unter Wilhelm II. etablierte sich Stuttgart zu einem weit ausstrahlenden kulturellen Zentrum. Bereits 1822 förderte Wilhelm I. die Neubauten des Staatsarchivs und des Naturalienkabinetts nach Plänen von Gottlob Georg Barth.
Barth schuf auch zwischen 1838 und 1843 die neu errichtete klassizistische Dreiflügelanlage für die Königliche Gemäldesammlung, in der auch die Gipsabdrucksammlung, das Kupferstichkabinett und Königliche Kunstakademie untergebracht waren. Heute beherbergt der Bau die Alte Staatsgalerie. Dieses „Königliche Museum der Bildenden Künste“ baute auf fürstliche Sammlungen auf, die nun den Status selbständiger öffentlicher Institutionen erhielten. Von den 237 ausgestellten Gemälden stammten 197 aus dem Schloss Ludwigsburg. Als Auswahlkriterium war die Vorbildhaftigkeit für die Studenten der Kunstschule maßgeblich. Bereits 1844 erschien der erste Museumskatalog. An drei Tagen in der Woche war die Galerie von 11 bis 13 Uhr für jedermann geöffnet. 1852 erwarb Wilhelm I. die 250 Nummern umfassende Sammlung italienischer Malerei, die in Venedig beheimatete „Pinacoteca Barbini-Breganze“, und überwies sie dem Museum. Dazu gehört auch die in der Ausstellung zu bewundernde „Büßende Maria Magdalena” aus der Werkstatt Tizians.
Durch die Unterbringung außerhalb des höfischen Einflusses wandelten sich die Museen zu allgemein ohne Standesschranken zugänglichen Bildungsinstitutionen. So wurde 1862 die „Königliche Staatssammlung vaterländischer Kunst- und Altertumsdenkmale“ gegründet, das heutige Landesmuseum Württemberg. Zwischen 1878 und 1886 erhielt die „Königliche Bibliothek“ einen Neubau. Nach Plänen Theodor Fischers wurde 1909 bis 1913 das Kunstgebäude errichtet, in dem heute der Württembergische Kunstverein ausstellt.
Die Bemühungen um Ästhetisierung von Produkten lassen sich in der Gründung von Zeichen- und Gewerbeschulen zur Vermittlung künstlerischer Geschmacksbildung nachvollziehen. 1829 wurde in Stuttgart eine Kunstschule errichtet; 1912/13 die Kunstgewerbeschule erbaut. 1901 wurden die praktisch orientierten Lehr- und Versuchswerkstätten unter der Leitung von Bernhard Pankok gegründet, die neben dem Möbelbau alle Bereiche der angewandten Künste mit einbezog.
Bis heute stellen die unter königlichem Protektorat etablierten Kunstinstitutionen Württembergs die tragenden Fundamente im kulturellen Leben des Landes dar. Denn nach dem Rückzug des Adels ins Private nahmen sich die Nachfolgestaaten dieses Erbes an. Pflege und weiterer Ausbau führten zu der heute bestehenden Kunstlandschaft im Süden Deutschlands. Anhand dieser speziellen Genese geraten heutzutage oft allzu schnell bemühte Vergleiche speziell auf den Gebieten der Finanzierung rasch ins Wanken. Die über Jahrhunderte ausgeprägte Tradition des Unterhalts gewachsener Kunstkollektionen mit dem Geld der Bürger, des Staates und der Landesherren kann nicht verglichen werden mit einer kommerzbestimmten, traditionslosen, künstlich entwickelten und nicht gewachsenen kulturellen Infrastruktur. Die Weiterentwicklung dieser Institutionen in Deutschland setzt die Kenntnis des Vergangen voraus. Daher sollte man historische Ausstellungen keineswegs gering schätzen, auch wenn man sich in Stuttgart eine etwas mehr innovative und weniger altbackene Präsentation gewünscht hätte.
Die Ausstellung „Das Königreich Württemberg 1806-1918. Monarchie und Moderne“ ist noch bis zum 4. Februar 2007 im Landesmuseum Württemberg zu besichtigen. Geöffnet ist täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr. Der Eintritt beträgt 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher, 480 Seiten umfassender Katalog erschienen, der an der Museumskasse 25 Euro kostet.
Württembergisches Landesmuseum Stuttgart
Altes Schloss
Schillerplatz 6
D-70173 Stuttgart
Telefon: +49 (0) 711 279-3498
Telefax: +49 (0) 711 279-3492
www.koenigreich-wuerttemberg.de
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