In der künstlerischen Entwicklung von Asger Jorn wechselten Phasen intensiven Schaffens mit Zeiten des Rückzugs. Immer unterwegs und mit der permanenten Erweiterung seiner künstlerischen Aktivitäten beschäftigt, führte er ein unstetes Leben, das in seiner scheinbaren Ziellosigkeit wieder konsequent war. 1914 als Asger Oluf Jorgensen geboren, lebte Jorn unter anderem in Kopenhagen, Paris, Djerba, New York und Genua. Bekannt wurde er mit seinen expressionistischen Gemälden, in denen eine wilde und naive Fabelwelt voll archetypischer Gestalten dominiert. Stets suchte Jorn künstlerisches und gesellschaftliches Engagement miteinander zu verbinden. Er war Kommunist, unermüdlicher Theoretiker, Gruppenorganisator, Zeitschriftengründer und Propagandist.
„Anfangs missverstand ich sein Wesen als verwirrt und inkonsequent“, beschrieb Jean Dubuffet seinen Malerkollegen. „Ich irrte. Er verstand die Verwirrung zu zügeln. Die Fülle seiner Projekte erschreckte mich: zur selben Zeit Fotografien von Graffiti aus der Wikingerzeit an den Kirchenmauern der Normandie, Erforschung der Zeit der Völkerwanderungen, Errichtung der Sammlung für das Museum in Silkeborg, Produktion eines Films in München, die großen Keramikarbeiten in Albisola, die Situationisten-Bewegung und all die Publikationen, die sich an diese Bewegungen knüpften. Doch zu meiner großen Verwunderung wurde all das sorgfältig weiter verfolgt und durchgeführt, ohne dass er überlastet wirkte. Er war ganz in seinem Element, wenn er viele Eisen im Feuer hatte, von Land zu Land reiste und dazwischen Perioden intensiver Malerei hatte“.
Jorns Aktivitäten waren ungewöhnlich und vielseitig. Sie reichten von seinem Engagement für die dänische Zeitschrift „Helhesten“ in den frühen 1940er Jahren bis zur Gründung des Skandinavischen Instituts für Vergleichenden Vandalismus zwanzig Jahre später. Jorn war Gründungsmitglied der Gruppe COBRA, Begründer der Bewegung für ein „Imaginäres Bauhaus“ und führender Kopf der „Situationistischen Internationale“. Von 1957 bis 1961 war er aktives Mitglied und Mitherausgeber der Zeitschrift dieser Gruppe. Er nahm an ihren Kongressen teil, war in ihre Skandale involviert, gab Bücher mit Essays heraus und produzierte einen Experimentalfilm von Guy Debord.
In dieser Zeit entstanden die „Défigurations“, Modifikationen von Bildern anonymer Maler, die Jorn auf Flohmärkten kaufte und übermalte. Eine Reihe dieser experimentellen Arbeiten, die Jorn in den Jahren 1961 und 1962 schuf, werden derzeit in der Ausstellung „Asger Jorn: Central Figure“ der Wiener Bawag Foundation präsentiert. Bereits 1959 hatte der umtriebige Künstler die Gründung einer „Sektion zur Verbesserung alter Gemälde“ angeregt und Reproduktionen von Raffael, Claude Monet, Georges Braque und Salvador Dalí übermalt. Die Wiener Ausstellung versammelt stattdessen Originale unbekannter Maler des 19sten Jahrhunderts, allesamt Portraits, die Jorn mit sichtlicher Freude an seinen humorvollen Erfindungen in expressivem Gestus übermalte.
In formaler Hinsicht handelte es sich dabei um einen Rückgriff auf den Surrealismus. In der Nachfolge von Joan Miró und Marcel Duchamp verfremdete Asger Jorn die in traditionellen Stil gemalten Vorlagen. Das Motiv ist die Figur, die modifiziert und mit verfremdenden, aggressiven und humoristischen Übermalungen verändert wird. „Poussin“, „Choux“, „Grand baiser du cardinal d’Amerique“ und „Fraternité avant tout“ gehören zu den überraschenden Beispielen einer kitschigen Bilderwelt, die Jorn verzerrte, verwandelte und durch die signifikante Überarbeitung für sein malerisches Œuvre adaptierte.
Statt Jorn ein weiteres Mal nur als COBRA-Maler zu zeigen, gelingt es der Bawag Foundation vor allem mit der Präsentation der „Défigurationen“, aber auch mit zwei druckgrafischen Serien, den „Occupations“ und der „Schweizer Suite“, das hinlänglich bekannte Werk von Asger Jorn um wesentliche Aspekte zu ergänzen und zu beleuchten. So gibt die zwischen 1939 und 1945 entstandene, aber erst 1960 gedruckte Folge „Occupations“ einen signifikanten Einblick in Jorns frühe Bilderwelt. Bestimmend für diese frühe Serie ist ein persönliches Universum an menschlichen und tierischen Gestalten, das der Künstler in seinen späteren, farbenprächtigen Leinwänden wiederholen und abwandeln wird. Eine Auswahl an Gemälden, wie das 1950 entstandene „Le droit de l’aigle“, „Femelle interplanetaire“ von 1953, „Personnage“ von 1960, aber auch die 1972, zwei Jahre vor Jorns Tod entstandenen Bronzen wie „Imagine corrotta“ oder „Opera Buffa“ veranschaulichen seine Treue an früh gefundenen Bildmotiven und die konsequente Entwicklung seiner malerischen Handschrift, die sich bei allen Wendungen im Einzelnen, durch eine auffallende Konstanz auszeichnet, die große Veränderungen ausschließt.
Die Ausstellung „Asger Jorn: Central Figure. Ausgewählte Arbeiten 1939-1972“ ist noch bis zum 2. Dezember zu sehen. Die Bawag Foundation hat bei freiem Eintritt Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog zur Ausstellung kostet 20 Euro.
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