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Jørn Utzon

Der Architekt im Schatten der Oper von Sydney



Mit Jørn Utzon verhält es so, wie es häufig im Schlagergeschäft anzutreffen ist. Da hat jemand einen Hit, und kurze Zeit später versinkt der Interpret in der Versenkung. Taucht er mal wieder auf, geschieht es stets in Zusammenhang mit dem alten, einzigen Erfolg. Wohl kaum ein anderer Architektenname ist so eng mit einem Bauwerk verknüpft wie der von Jørn Utzon mit dem Opernhaus in der australischen Metropole Sydney. Nähere Details zum Leben des Baumeisters sowie zu weiteren Werken treten völlig in den Hintergrund. Will man sich informieren, ist man überrascht, wie wenig selbst in einschlägigen architekturhistorischen Übersichtsdarstellungen Utzon und sein Werk erwähnt geschweige denn gewürdigt werden. Selbst sein berühmtester Bau findet in vielen Monografien keinerlei Beachtung. Die Verleihung des Pritzker-Preises an Utzon im Jahr 2003 und wenige neue Publikationen werfen ganz sparsam einige Schlaglichter in das Dunkel, das den berühmten Baumeister und seine architektonischen Werke umgibt.



Geboren wurde Jørn Utzon am 9. April 1918 in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Zwischen 1937 und 1942 studierte er Architektur an der dortigen Kunstakademie. Zu seinen Lehrern gehörte Kay Fisher und Steen Elier Rasmussen. Nach dem Studium reiste er durch Europa, Mexiko und die Vereinigten Staaten, wo er kurzzeitig bei Frank Lloyd Wright gearbeitet haben soll. Von 1942 bis 1945 war er im Architekturbüro des 1940 verstorbenen Architekten Eric Gunnar Asplund tätig. Im Jahre 1946 assistierte er darüber hinaus einige Zeit bei Alvar Aalto. Ab 1950 betätigt sich Utzon dann als selbständiger Architekt.

Jørn Utzons erste Projekte erregten besonders durch ihre offenen Grundrisse und freie Raumgestaltungen Aufsehen. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1956 mit den Plänen für das Opernhaus in Sydney, das dann von 1959 bis 1973 errichtet wurde. Der erst 38jährige hatte sich in einem Wettbewerb mit 277 Einsendungen durchgesetzt, obwohl er den Ort nur von Fotos und Plänen her kannte.

In den 1960er und 1970er Jahren beteiligte er sich an Wettbewerben für Stadtzentren oder Schulkomplexe. In diese Zeit fällt auch sein bedeutsamer Wettbewerbsbeitrag für ein Kunstmuseum in Silkeborg aus dem Jahr 1963. Zuvor realisierte er Reihenhaussiedlungen in Helsingør (1958-1960) und in Fredensborg (1962-1963). In Zürich konnte er 1964 das Stadttheater bauen und im heimischen Bagsvaerd bei Kopenhagen zwischen 1973 und 1976 eine Kirche errichten, die gleichfalls durch Lichtfülle und Offenheit charakterisiert ist. Ein weiterer Höhepunkt in Utzons Œuvre stellt ohne Zweifel das 1983 ausgeführte Parlamentsgebäude in Kuwait-Stadt dar.

In keinem anderen Bauwerk aber konnte Jørn Utzon seine ästhetischen und funktionellen Intentionen so pointiert im seismografischen Kontext der Zeit auf den Punkt bringen wie beim Projekt in Sydney. Als Juryvorsitzender verhalf der experimentierfreudige Finne Eero Saarinen den Entwürfen Utzons zum Sieg. Zur gleichen Zeit, als der Wettbewerb in Sydney ausgelobt wurde, arbeitete Saarinen nämlich an den Plänen für sein TWA-Terminal auf dem New Yorker JFK-Airport. In der Plastizität dieses 1956 bis 1962 realisierten Gebäudes in der Form eines Vogels mit ausgebreiteten Schwingen übertrumpfte er noch die Vorschläge seines Kollegen Utzon.

Dies demonstriert aber auch, wie sehr der Zeitgeist sich von der Doktrin funktionaler Zweckmäßigkeit und der Entsprechung zwischen Innen und Außen entfernt hatte. Mit der Protegierung allseitiger skulpturaler Wirkungen hatte schon Le Corbusier begonnen und Gebäude entwickelt, die mehr von künstlerischen und symbolischen Zielsetzungen bestimmt wurden als von reiner Nützlichkeit oder formaler Strenge. Die Architektur griff seinerzeit über in den Bereich der Plastik durch das Spiel freier Formen oder bewegter Oberflächen. Dies kennzeichnet die Strömung des organischen Bauens.

Auch Jørn Utzon versuchte, den allgemeinen Rationalismus des internationalen Stils zu durchbrechen. Beim Opernhaus in Sydney zeigt er offen den Widerspruch zwischen klarer Pogrammerfüllung und irrationalem Streben nach Ausdruck. Diese Bewältigung versuchte der Architekt durch kontrastierende Kompositionen. Die Architektur des Opernhauses ist bestimmt von zwei Elementen. Als Rückrat dient eine gestufte und gestaffelte horizontale Fläche für den zweiten Teil, nämlich für das Spiel plastischer Formen einer Himmelslandschaft scheinbar frei schwebender Dachstrukturen. Dieses Prinzip dominiert bei vielen Entwürfen Utzons. Über einer Plattform, die primäre und sekundäre Funktionen trennt, wird der Besucher im Kunstwerk empfangen.

Darunter geschieht die Vorbereitung. Schau und Arbeit werden strikt getrennt. Über dem mehrgeschossigen unteren Gebäudeteil mit den Arbeitsbereichen und Studiosälen steht die Folge der bis zu 60 Meter hoch aufragenden Schalen aus Betonsegmenten. In zwei Reihen überdecken sie das Opernhaus und den Konzertsaal samt Bühnenturm, Foyers und Restaurant. Die Schalen sind Ausschnitte von sphärisch gewölbten Formen. Akustisch bedingt sind innen Holzkonstruktionen abgehängt. Die beiden Abfolgen machtvoller Schalenarchitektur sind wie Wahrzeichen aufgerichtet, die über ihre funktionalen Bedürfnisse hinaus der Befriedigung von Emotionen und einer zweckfreier Symbolik dienen.

Die segelartige Silhouette auf Bennelong Point, einer Halbinsel in der berühmten Bucht vor Sydney, hat zu vielerlei Assoziationen Anlass gegeben. Unbestritten ist, dass es an diesem Ort zu einem einzigartigen Zusammenspiel von fantastischer Architektur und faszinierender Landschaft in der Hafeneinfahrt von Sydney gekommen ist. Dies war nur möglich, weil Utzon unter Verwendung von hapsodischen Entwürfen mit der dänischen Zurückhaltung brach und die bei Aalto erlernten skulpturalen Qualitäten mit den von Wright übernommenen organischen Strukturen glücklich verbinden konnte. Auch die immer wieder gern zitierten Umstände des ganzen Drumherum können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Jørn Utzon mit diesem Gebäude einen Markstein in der Architekturgeschichte gesetzt und Sydney zu einem unverwechselbaren Wahrzeichen verholfen hat.

Auch heute stellt das als Veranstaltungszentrum multifunktional genutzte Haus mit über 1,6 Millionen Besuchern jährlich mehr als nur eine Touristenattraktion dar. In der Konzerthalle mit ihren rund 2.700 Plätzen, dem Opernhaus mit 1.500 Plätzen, dem Schauspielhaus mit 550 Plätzen und weiteren kleineren Sälen von 150 bis 420 Plätzen finden täglich bis zu einem Dutzend Veranstaltungen statt. Doch wirkt es eher ernüchternd, dass das Innere nach den Entwürfen lokaler Architekten nicht unbedingt zum Vorteil des Hauses gestaltet werden musste, nachdem sich Utzon 1966 nach erheblichen, ursächlich mit einem Regierungswechsel zusammenhängenden Streitigkeiten über die Planungen aus dem Projekt zurückzog. Hatte man beim Baubeginn im März 1959 noch mit einer Realisierungszeit von fünf Jahren und Kosten von sieben Millionen australischen Dollars kalkuliert, gingen letztendlich 15 Jahre ins Land, ehe Staatsoberhaupt Königin Elisabeth II. im September 1973 ein Gebäude einweihen konnte, für das die Bauherrn nun das rund 15fache, nämlich 102 Millionen australischer Dollar bezahlen mussten.



22.10.2004

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Hans-Peter Schwanke

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Jörn Utzon
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Jørn Utzon, Opernhaus der Stadt Sydney, 1957-1973
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 Utzon, Kirche in Bagsværd, 1973 bis 1976
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Jörn Utzon, Reihenhaussiedlungen in Fredensborg, 1959 bis 1962

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