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Experimentierfreudig und immer auf der Suche nach neuen Bildfindungen: Der belgische Maler Constant Permeke war ein Künstler der Moderne und ein großer Humanist, der sich gegen jedwede Etikettierung sträubte. Im gerade frisch renovierten Permekemuseum unweit von Brügge ist sein Werk jetzt neu zu entdecken Hinaus aufs Land
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| | Constant Permeke, De Sjees, 1926 | |
Ein großzügig bemessener, modernistischer Flachdachkubus mit roter Backsteinfassade aus den 1920er Jahren, umgeben von einem rund 20.000 Quadratmeter großen gigantischen Garten am Rande einer kleinen Gemeinde in Westflandern, die sich auf halber Strecke zwischen Brügge und Ostende befindet: Das ist das Permekemuseum in Jabbeke. Die Landschaft zeichnet sich durch baumgesäumte Kanäle, Polder, Wiesen und Felder aus. Das Meer ist nicht fern. Ein flacher, aber durchaus reizvoller Landstrich, wie ihn bereits der belgische Chansonnier Jacques Brel in seinem bekannten Lied „Le plat pays“ – „Das platte Land“ – besungen hat.
Auch wenn hier heute sicherlich mehr Autos und Lastwagen über die Landstraßen donnern als damals, so hat sich der Charme der vor bald 100 Jahren gebauten Anlage bis heute erhalten. Erbaut wurde das auffällige Ensemble in der Gemeinde Jabbeke im Jahr 1928 von dem flämischen Maler, Zeichner und Bildhauer Constant Permeke. Die Skizzen für das Haus hatte er selbst gefertigt. Die endgültige Ausführung überließ er allerdings einem mit ihm befreundeten Fachmann, dem Architekten Pierre Vandervoort. Das Gebäude, das dem Künstler und seiner Familie bis zu seinem Tod als Wohn- und Atelierhaus dienen sollte, taufte Permeke auf den Namen „De vier winden“ – „Die vier Winde“. Der Öffentlichkeit wurde dieser magische Ort schon wenige Monate nach seinem Tod durch die Familie zugänglich gemacht. 1960 wurden das Haus und die Sammlung dann von der Provinzregierung Flandern erworben und 1961 als Permekemuseum eröffnet. So charmant das alte Gebäude auch war, es musste irgendwann auf Vordermann gebracht werden. Nach einer umfassenden, drei Jahre dauernden Renovierung ist das Museum Ende März mit einem neuen, zukunftsfähigen Konzept wiedereröffnet worden.
Der hierzulande noch weitgehend unbekannte Künstler Constant Permeke wird in Belgien zusammen mit James Ensor und Léon Spilliaert der „Heiligen Trinität der Ostender Malerei“ zugerechnet. Schon zu Lebzeiten wurden seine Werke in großen Museen und auf Biennalen international ausgestellt – nur eben kaum in Deutschland. Lediglich an der Documenta III im Jahr 1964 waren posthum ein paar seiner Handzeichnungen zu sehen.
Permeke ist berühmt für seine oft in erdigen Tönen gehaltenen malerischen Darstellungen von Bauern, Fischern und deren Familien, meist in Form typisierender Wiedergabe. Die Namen der Modelle bleiben in der Regel anonym. Daneben entstanden Landschaftsbilder, Hafenansichten, Markt- und Jahrmarktszenen sowie nächtliche oder zumindest von dunklen Wolken dominierte Seestücke. Auch der weibliche Akt ist gerade in seinem zeichnerischen und skulpturalen Werk ein häufig wiederkehrendes Sujet.
Seltsam ungelenk, oft mit prankenartigen Händen und riesenhaften, fast an Blechroboter erinnernden Füßen, erscheinen vor allem seine Bauern und Sämänner. Sie ruhen sich häufig draußen von der Feldarbeit aus oder nehmen in ihren nur mit dem Nötigsten ausgestatteten Behausungen einfache Mahlzeiten zu sich, um nach getaner Arbeit wieder zu Kräften zu kommen, so etwa auf dem Bild „Die Breiesser“ von 1922, das ein am Küchentisch sitzendes Paar beim Essen von Haferbrei zeigt. Typisch für Permeke: Nur eine der beiden Figuren ist detaillierter ausgeführt. Die andere entdeckt man erst bei genauerem Hinsehen. Auch eine auf dem Tisch liegende Brille verbleibt eher in einer Art Zwischenzustand zwischen Vor- oder Unterzeichnung und endgültiger Ausführung. Doch genau dieses „Weniger ist mehr“. Der Mut zum Weglassen und zum Offenlegen von Vorzeichnungen, Übermalungen, Korrekturen und letztlich unausgeführten Bildideen und Partien macht die Gemälde Permekes so spannend. Was auf den ersten Blick ganz klar zu entschlüsseln ist, wirft bei näherem Hinsehen häufig Rätsel auf. Warum führt er ein einmal vorbereitetes Detail am Ende nicht weiter aus, verheimlicht aber auch nicht, dass es bereits zeichnerisch oder malerisch angelegt war?
Könnte man Constant Permeke als Vertreter des Sozialen Realismus bezeichnen? Schließlich hat er doch, ähnlich wie seine Zeitgenossen Grant Wood in den USA, Diego Rivera in Mexiko oder Käthe Kollwitz in Deutschland, das Leben der unterprivilegierten, armen Bevölkerung in den Mittelpunkt seiner Bilder gestellt. Inne Gheeraert, koordinierende Kuratorin am Mu.ZEE in Ostende und verantwortliche Kuratorin für dessen Zweigstelle, das Permekemuseum, verneint: „Permekes Kunst war keine Übung im Sozialen Realismus. Er malte und skizzierte Menschen, wie er sie im täglichen Leben sah. Es war eine Möglichkeit, das Immaterielle einzufangen und das Leben Werk für Werk zu feiern. Andere Bilder sind rein formale Experimente. Das Thema ist hier gegenüber der Komposition zweitrangig.“
Während die hart arbeitenden Bauern und Fischersleute also eher etwas wuchtig und schwerfällig daherkommen, versteht sich Permeke aber ebenso gut darauf, die Eleganz bürgerlicher Damen in flächiger, alle überflüssigen Details ausblendender Malweise festzuhalten. So etwa auf den beiden kurz vor seinem Tod entstandenen Bildern „Frau mit grünem Hut“ von 1949/50 und „Dame mit roten Handschuhen“ von 1951. Münder, Nasen und Augen bleiben auch hier nur Andeutung. Und dennoch erhalten die Betrachter*innen einen ungefähren Eindruck von der Persönlichkeit der Dargestellten. Außergewöhnlich ist dann auch das 1924 entstandene Bild „Junger Fischer“. Das auf stark gemasertem Holz ausgeführte Porträt macht sich die lebhafte Wellenstruktur des Holzes zu Nutze. Permeke setzt das in schwarzer Ölfarbe gemalte, wesentlich auf die Gesichtskonturen reduzierte Konterfei des jungen Fischers einfach darauf.
Constant Permeke wurde im Jahr 1886 in Antwerpen geboren. Er wuchs in Ostende auf, wo sein Vater als Restaurator des Museums tätig war und enge Kontakte zu James Ensor pflegte. Bereits mit 19 Jahren hatte der Autodidakt 1905 seine erste Ausstellung in Ostende. In den Folgejahren entstanden Kontakte und Freundschaften zu weiteren Vertretern der belgischen Moderne, so etwa zu Léon Spilliaert, Gustave de Smet und Théo van Rysselberghe. Permeke wohnte in dieser Zeit abwechselnd in Ostende und in der Künstlerkolonie Sint-Martens-Latem unweit von Gent.
1914 wird seine künstlerische Laufbahn jedoch jäh unterbrochen: Er wird von der belgischen Armee zum Wehrdienst eingezogen. Nach einer schweren Verwundung zieht er gemeinsam mit seiner schwangeren Frau und seiner Mutter für fünf Jahre nach England. Auch dort entstehen Bilder, die insbesondere die Küstenlandschaften von Devonshire zeigen. Erst im Jahr 1919 verlässt er England wieder und kehrt nach Ostende zurück. Die folgenden Jahre sollen für ihn äußerst erfolgreich werden. Kurze Zeit später hat Permeke bereits seinen internationalen Durchbruch, als er 1920 an der viel beachteten Ausstellung „Les Cubistes français et belges“ in der Galerie Sélection – Atelier d’Art Contemporain teilnimmt. Einer der mit ihm ausstellenden Künstler ist Pablo Picasso. 1922 nimmt Constant Permeke dann zum ersten Mal an der Biennale in Venedig teil. 1948 und 1950 werden weitere Teilnahmen folgen.
Von den deutschen Besatzern wird Permekes Kunst als „entartet“ gebrandmarkt. Er selbst wird 1941 mit einem Malverbot belegt. Doch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs feiert Permeke große nationale und internationale Erfolge. So wird er gleich nach dem Krieg zum Direktor der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen ernannt. Und im Jahr 1947 hat er zwei große Einzelausstellungen in bedeutenden Museen: im Stedelijk Museum in Amsterdam und im Musée d’Art Moderne in Paris. 1951 nimmt er an der ersten Biennale in São Paulo teil. Kurz darauf stirbt er im Januar 1952 in Ostende. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Jabbeke.
Der Künstler wird in der Dauerausstellung, die sich über die ehemaligen Wohn- und Atelierräume im Haupthaus erstreckt, in der ganzen Bandbreite seines Schaffens als Maler, Zeichner und Bildhauer vorgestellt. Aufschlussreich ist auch das im ersten Raum der Dauerpräsentation gezeigte Gemälde „Over Permeke“ aus dem Jahr 1922, in dem es vordergründig um das Zusammenleben der Familie geht. Von sechs Kindern des Künstlers sind zwei früh verstorben. Das Bild zeigt ein an einem Tisch sitzendes Paar mit Kind im Kreise drei weiterer Personen, deren Gesichter nicht genauer auszumachen sind. Der im Bildvordergrund sitzende Familienvater – es ist Permeke selbst – liest eine aufgeschlagene Zeitung mit der Überschrift „Over Permeke“. Es darf angenommen werden, dass es sich dabei um eine Kunstkritik zu seinem Werk handelt. Permeke tat sich mit der zeitgenössischen Kunstkritik und deren Schubladendenken schwer. Er wurde immer wieder als „flämischer Expressionist“ bezeichnet, lehnte dieses Etikett jedoch Zeit seines Lebens entschieden ab. Vielmehr sah er sich als eigenständiger, progressiver Künstler, ein Vertreter der Moderne, der vor allem auch Wert darauf legte, als Humanist wahrgenommen zu werden.
Mit einer Summe von 1,1 Millionen Euro seitens der flämischen Regierung, aber auch privaten Geldern konnten Haus und Garten des Künstlers jetzt wieder hergerichtet werden. Besonderen Wert legten die Verantwortlichen darauf, dass der Garten, ökologischen Prinzipien folgend, renaturiert wurde. Stichworte wie Biodiversität und Nachhaltigkeit haben bei seiner Neugestaltung eine große Rolle gespielt. Das entspricht dem progressiven Denken Permekes. Ausgehend von historischen Aufnahmen aus dem Archiv des Museums wurden einige Gestaltungselemente des Gartenbaus zur Zeit Permekes in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Statt penibel kurzgehaltener Rasenflächen dominieren jetzt wiesenartige Grünflächen mit Obst- und Nussbäumen. Der ausufernd große Garten ist bei freiem Eintritt zugänglich.
Constant Permekes ehemaliges Bildhaueratelier links neben dem Hauptgebäude wird ebenfalls für Ausstellungen genutzt. Es entspricht jetzt höchsten konservatorischen Standards, was Klimatisierung und Sicherheit betrifft. Neben der Dauerausstellung im Hauptbau werden hier zwei Wechselausstellungen pro Jahr stattfinden. Geplant ist, Permeke im Sommer im Kontext anderer Künstler*innen zu präsentieren, sich im Winter aber auf einzelne Werkaspekte zu konzentrieren. Publikumswirksame Formate und die wissenschaftliche Aufarbeitung seines Werkes werden sich in Zukunft also in Jabbeke die Waage halten.
Die aktuelle Wechselausstellung „Permeke im Gegenlicht“ ist bis zum 3. November zu sehen. Das Permekemuseum hat täglich außer dienstags von 10 Uhr bis 17:30 Uhr geöffnet, zwischen dem 1. November und 31. März täglich außer montags und dienstags. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, für junge Leute unter 25 Jahren 3 Euro. Der Katalog zum Haus und zur Ausstellung aus dem Verlang Hannibal Books kostet 39,95 Euro. | | Kontakt: Permekemuseum Gistelsteenweg 341 BE-8490 Jabbeke |
| Telefon:+32 (059) 50 81 18 | | | E-Mail: info@permekemuseum.be | | Startseite: www.permekemuseum.be |
07.05.2024 |
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Nicole Büsing & Heiko Klaas | |
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Constant Permeke,
Weinlese in
Devonshire, 1917 | | | | | | | |
Das Permekemuseum im
flandrischen
Jabbeke ist wieder
für Besucher
geöffnet | | | | | | | |
Constant Permeke bei
der Arbeit | | | | | | | |
im Permekemuseum in
Jabbeke | | | | | | | |
im Permekemuseum in
Jabbeke | | | | | | | |
im Permekemuseum in
Jabbeke | | | | | | | |
Constant Permeke,
Over Permeke, 1922 | | | | | | | |
Constant Permeke,
Strand Devonshire,
1917 | | | | | | | |
Constant Permeke,
Bauer mit Schaufel | | | | | | | |
Constant Permeke,
Grote Marine | | | | | | | |
Constant Permekes
„Niobe“ im Garten des
Permekemuseum | | | | | | | |
Constant Permeke,
Akt von hinten
betrachtet, 1943 | | | | |
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