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Zum Tod von Günter Brus Vom Grenzen sprengenden Staatsfeind zum gefeierten Künstler
| Er gehöre zu den künstlerischen Ausnahmeerscheinungen des 20. Jahrhunderts. „Er hat den Rahmen gesprengt, jenen der Gesellschaft wie auch den der künstlerischen Darstellung, und damit die Geschichte der Kunst für immer verändert“, würdigte Andrea Mayer, Österreichs Kunst- und Kulturstaatssekretärin, Günter Brus, der am Samstag mit 85 Jahren verstorben ist. Der österreichische Vizekanzler Werner Kogler charakterisierte ihn als „großen Geist und Mensch, der die Weltkunst mitgeprägt hat“. Er habe das Land zu einer Zeit mit verändert, als Veränderung dringend notwendig war – er wird fehlen. Und Stella Rollig, Generaldirektorin des Belvedere, ergänzte: „Wir verlieren einen Kunstrebell, der nie aufgehört hat, sich weiterzuentwickeln und seine künstlerischen Mittel immer wieder neu zu erfinden. Es war eine Ehre und Freude, anlässlich seiner Retrospektive mit Brus zusammenzuarbeiten und ihn als brillanten Künstler, Intellektuellen und zugewandten Menschen zu erleben.“
Die Anteilnahme am Tod des Künstlers in Österreich ist überwältigend und spiegelt die Bedeutung des gebürtigen Steirers in seiner Heimat und darüber hinaus. Roman Grabner, Leiter des seinem Schaffen gewidmeten Museums Bruseum in Graz, bezeichnete ihn als eine der „herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, der mit seiner Kunst an die Grenzen gegangen ist und seinen Körper sprichwörtlich der Zerreißprobe ausgesetzt hat“. Günter Brus habe bedingungslos für die Kunst gelebt und nie vor den Konsequenzen seiner Radikalität zurückgeschreckt. Er sei nicht nur rigoroser Aktionist, obsessiver Zeichner und spracherweiternder Dichter gewesen, sondern bis zuletzt ein heller Geist und politischer Mensch, der schmerzlich fehlen werde, so Grabner weiter.
Günter Brus, geboren am 27. September 1938 in Ardning in der Obersteiermark, der schon als Kind ein ausgeprägtes Interesse für Kunst, Musik und Literatur zeigte, studierte zwischen 1953 und 1958 zunächst an der Kunstgewerbeschule in Graz, dann an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und schuf zunächst informelle Bilder, mit der er die traditionelle Malerei entgrenzen wollte. Die radikale Geste und die explosive Energie dieser Kunst übertrug er in den 1960er Jahren auf seinen Körper, brach gemeinsam mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler aus dem klassischen Tafelbild aus und wurde somit zu einem Pionier der Body Art. Der Wiener Aktionismus war geboren, der die damaligen verkrusteten Gesellschaftsstrukturen aufbrechen wollte.
Bekannt wurde Brus durch die Aktion vom 5. Juli 1965 in Wien, als er weiß bemalt und mit einem schwarzen, zuckenden Strich gleichsam längs geteilt als lebendes Bild vom Heldenplatz in Richtung Stephansplatz unterwegs war. Auf halbem Weg wurde er von einem Polizisten angehalten und in die nahe gelegene Wachstube geführt. Wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ musste er eine Verwaltungsstrafe von 80 Schilling zahlen. „Ich hab’ aus innerem Zwang heraus auf den Zwang reagiert“, benannte Brus die Beweggründe für seine Körperkunst. Im Lauf des Jahres 1967 entwickelte er dann sein Konzept der „Körperanalysen“, bei dem er elementare existenzielle Erfahrungen thematisierte. Dabei zog er sich oft vollkommen nackt aus, verstümmelte seinen Körper mit Rasierklingen, trank seinen Urin, beschmierte sich mit Kot und masturbierte öffentlich.
Mit diesen, die Schmerzgrenzen des Publikums überschreitenden Handlungen schockierte Brus im Juni 1968 auch bei der legendären Aktion „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien. Da er dabei noch die österreichische Nationalhymne sang, wurde er wegen „Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole“ und wegen „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten Gefängnishaft verurteilt. Dem entzog er sich durch Flucht nach Berlin und gründete dort mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm die „Österreichische Exilregierung“ und ihre Zeitschrift „Die Schastrommel – Organ der österreichischen Exilregierung“. Solche Aktionen hätten anarchistischen Charakter gehabt, sagte Brus später. Sie seien im Besonderen auf die Situation in Österreich ausgerichtet gewesen. „Es war schier unerträglich, in welchem pseudodemokratischen Land wir damals gelebt haben“, so Brus. Die Zeit in Berlin empfand er als „das Positivste für mich persönlich, Berlin war für mich ein Befreiungsschlag“.
Seine letzte Aktion führte Brus im Juni 1970 in München durch und beendete damit seine performative Werkphase. Sie hieß sinnigerweise „Zerreißprobe“, in der er noch einmal bis an alle körperlichen Grenzen zu gehen versuchte. Erst 1976 konnte seine Ehefrau Anna, die nicht selten bei seinen Aktionen beteiligt war, beim österreichischen Bundespräsidenten die Umwandlung der Haft- in eine Geldstrafe bewirken. 1979 kehrte der Künstler dann mit seiner Familie in die Steiermark zurück, wo er seither außerhalb von Graz lebte. In der Zeit in Berlin vollzog sich sein künstlerischer Wandel. Brus erweiterte die vom ihm stets geschätzte Zeichnung durch die Kombination von bildender Kunst und Literatur und überwand somit auch seine Zweifel an den Möglichkeiten des zweidimensionalen Bildes. Sein Genre der „Bild-Dichtung“ zeichnet sich durch eine Synthese von Sprache und Bild aus, bei der sich die beiden Ausdrucksformen nicht bedingen, sondern ein dialektisches und kontrapunktisches Neben- und Miteinander führen.
Obsessiv schuf er seine umfangreichen Bild-Text-Zyklen und vermittelte seine immer noch gesellschaftskritischen Botschaften in diesen hintersinnigen Sprachbildwelten. In den „Bild-Dichtung“, die nicht selten von einem Zug ins Morbide geprägt waren und das körperorientierte und autoaggressive seiner Aktionen in das zeichnerische Werk überführten, griff er satirisch die österreichische Mentalität auf. Auch in seinem literarischen Werk agierte der kuriose Wortschöpfer als Zertrümmerer von Phrasen und Allgemeinplätzen und wollte hinter die Dinge schauen. Für ihn waren die „Leute politisch zu faul, um nachzudenken“. So sind rund 40.000 Blätter mit seinen Bild-Dichtungen zusammengekommen, dazu noch die Romane „Irrwisch“ und „Die Geheimnisträger“, die Theoretischen Poesien „Nach uns die Malflut!“, die Zartbitteren Humoresken „Essigsaure Tonerde“ oder die Publikation „Schneckenhaus und Glitzerstein“, die die Bücher, Bilder und Spiele umfasst, die Brus für seine Tochter Diana gestaltet hat. Zudem wurde er auch als Bühnen- und Kostümbildner angefragt.
Internationale Beachtung erfuhr sein Werk ab den frühen 1970er Jahren. So wurde Brus erstmals 1972 zur Documenta 5 nach Kassel in die Abteilung „Individuelle Mythologien“ eingeladen, dann nochmals zur Documenta 6 und zur Documenta 7. Ausstellungen folgten in Bern, London, Luzern, Amsterdam, München, Berlin, Paris und schließlich 1986 auch in Wien. Die Auszeichnungen stellten sich gleichfalls ein. So wurden Brus etwa der Oskar Kokoschka-Preis (2003), das Ehrenzeichen für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Lands Steiermark (2018) oder im vergangenen Jahr der Ehrenring der Stadt Graz überreicht. Mit einem umfangreichen Sammlungsankauf wurde 2008 der Grundstock für ein eigenes Brus-Museum innerhalb der Neuen Galerie Graz gelegt, das dann 2011 als Bruseum eröffnet wurde. Als Günter Brus 1996 für seine künstlerischen Verdienste den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst erhielt, wurde aus dem viel geschmähten Künstler ein von offizieller Seite geehrter – oder wie es Brus damals selbst doppeldeutig formulierte: „Ich habe mich ausgezeichnet.“ |
11.02.2024 |
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Ulrich Raphael Firsching | |
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