 |  | Max Klinger, Beethoven, 1902 | |
„Die Idee kam mir eines schönen Abends in Paris am Klavier, und so farbig bestimmt und deutlich, wie nur ganz wenige Sachen: die Haltung, die Faust, das rote Gewand, der Adler, der Sessel, die Falten - sogar die Goldlehnen“, berichtete der leidenschaftliche Klavierspieler Max Klinger rückblickend über die Inspiration für seine berühmteste Skulptur. Nach der ersten Idee im Jahr 1884 fertigte er zunächst die farbig gefasste, heute im Besitz des Bonner Beethovenhauses befindliche Gipsversion des im eigenen Auftrag kreierten Beethoven-Denkmals. Doch noch 17 Jahre sollten vergehen, bis er sein Opus Magnum in mühevoller Arbeit mit hohem logistischem Aufwand sowie Materialkosten von 150.000 Mark 1902 vollenden konnte.
Eindrucksvoll beherrscht das Beethoven-Denkmal nun die große Ausstellungshalle der Bundeskunsthalle in Bonn. Als grüblerisches Genie inszeniert, sitzt der Komponist pathetisch überhöht sowie schöpferisch ringend und der Zeit enthoben nach vorne gebeugt als Musiktitan auf einem Thron. Aus 13 verschiedenfarbigen Teilen unterschiedlicher Materialität zusammengesetzt, ist das Monument vor dem Hintergrund damals aktueller Experimente im Bereich farbiger Plastik zu betrachten. Max Klinger, der 1857 in Leipzig geboren wurde und 1920 nahebei auf seinem Landsitz in den Weinbergen bei Naumburg verstarb, verbrachte nach seiner künstlerischen Akademieausbildung in Karlsruhe und Berlin die Jahre zwischen 1883 und 1886 in Paris. Die französische Metropole war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Zentrum polychromer Skulptur. Dies beeinflusste Klingers Schaffen ebenso wie die durch archäologische Funde bestätigte Farbigkeit antiker Skulpturen.
Bei seiner Beethoven-Skulptur kombinierte Klinger collagenartig Figur, Materialien und allegorisches Beiwerk zu einer narrativ-szenischen Erzählstrategie. Dahinter steckte die Intention einer Vereinigung aller Gattungen in einem Gesamtkunstwerk, wozu auch Richard Wagner Inspirationen lieferte. Das kritisch von der Presse rezipierte Denkmal war dann Hauptattraktion auf der Schau der Wiener Secession im Jahr 1902, wo es ein großes Publikum anzog. Der Grafiker und Maler Klinger hatte sich nun als Bildhauer etabliert und damit in einem Metier, in dem er Autodidakt war. Nach Ausstellungen in Düsseldorf, Rotterdam, Frankfurt, Houston ist es vom Leipziger Museum der bildenden Künste für die Bonner Klinger-Präsentation ausgeliehen. Dem Beethoven-Jubiläum geschuldet, werden nun erstmals Modell und Ausführung nebeneinander präsentiert.
Um das Monumentalwerk herum gruppieren sich vor an den Hallenwänden arrangierten Grafiken inhaltlich gegliederte Schwerpunkte von Klingers Schaffen in einer offenen dialogfreudigen Inszenierung. Überwiegend aus dem Fundus des Leipziger Museums entliehen, versammeln sich rund 200 Werke aus dem Œuvre des umstrittenen Pioniers des deutschen Symbolismus. Themen bilden Klingers Ideen eines Künstlertums, sein Umgang mit Mythen, dem Christentum, der Musik oder der Antike. Dabei wird deutlich, wie sehr er sich am menschlichen Akt abarbeitete. Zur Zeit seines Studiums orientierte sich seine Arbeitsweise an nackten, das Schönheitsideal prägenden Statuen der Antike. Der so klassisch ausgebildete Klinger empfand Nacktheit in der Kunst als etwas Natürliches und bevorzugte die unbefangene Interpretation. Ihm zu verdanken sind wegweisende Impulse bei der Formulierung eines modernen Menschenbildes in der Kunst.
Als sein malerisches Meisterwerk und ein Höhepunkt der Aktmalerei um 1890 gilt „Die blaue Stunde“. Zwischen Realität und Traum erscheinen drei entblößte Frauen auf einer Meeresklippe in magischer dämmriger Lichtstimmung beim Kundtun drei dominanter menschlicher Formen des Innehaltens: Dem Stehen, Liegen und Sitzen. In brillanter Maltechnik gelang es Max Klinger, eine Vielzahl von Farbtönen auf die nackte Haut der Modelle zu projizieren. In dieser raffinierten Apotheose des weiblichen Körpers brach der Maler mit der Tradition, die nackte weibliche Figur nur in mythologischem, religiösem oder historischem Zusammenhang darzustellen. Auch dem gleichzeitig entstandenen Gemälde „Die Kreuzigung Christi“ ist ein Kapitel gewidmet. Auf einer bühnenartigen Szenerie erscheint der splitternackte Christus nicht wie üblich mittig, sondern nach rechts verrückt. Auch die Vorstellung des Apostels Johannes mit den Gesichtszügen Beethovens trug dazu bei, dass dieses Bild einen Skandal auslöste.
Die von Auguste Rodin bevorzugten Methoden auf dem Gebiet lebhafter Oberflächenmodellierungen und dessen effektvolle „Non-Finito-Technik“ griff Max Klinger auf. Den Einfluss antiker Kulturen, die leider unvollendet gebliebene Konzeption für ein Richard Wagner-Denkmal in seiner Heimatstadt Leipzig oder den Grafikzyklus „Ein Leben“ von 1884, in dem Klinger als einer der ersten das Thema der Prostitution behandelte, stellt Kuratorin Agnieszka Lulinska gleichfalls vor. Hinzu kommt eine für die Berliner Villa des Juristen Julius Albers entwickelte Idee von Raumkunstwerken. Auch die Rollen seiner langjährigen Lebensgefährtin Elsa Asenijeff sowie seines Modells und späteren Ehefrau Gertrud Bock lässt die Schau nicht aus.
Am Ende kommt es zur opulenten Prachtentfaltung bei der Präsentation des mehrteiligen grandiosen Tafelaufsatzes für das 1905 eingeweihte neue Rathaus in Chemnitz. Die aus funkelndem Silber und Kristall gefertigten Objekte spiegeln eindrucksvoll den Prunk der ausgehenden Kaiserzeit. „Wegen Corona haben wir nicht zu den Sternen greifen können“, bilanzierte Lulinska und bedauerte zugleich das Fehlen des letzten großen Gemäldes von Max Klinger. 1918 vollendete er für den großen Ratssaal des Chemnitzer Rathauses das Monumentalwerk „Arbeit = Wohlstand = Schönheit“. Die Botschaft der 13,5 Meter langen und 3,75 Meter hohen Leinwand, auf der sich der Maler selbst nackt verewigt hat, ist auch über 100 Jahre später noch aktuell.
Die Ausstellung „Max Klinger und das Kunstwerk der Zukunft“ ist noch bis zum 5. April zu sehen. Die Bundeskunsthalle hat täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, dienstags und mittwochs bis 21 Uhr unter den aktuellen Hygiene- und Abstandsregeln und mit Buchung von Zeitfenster-Tickets geöffnet. Der Eintritt beträgt 11 Euro, ermäßigt 7 Euro; für Kinder und Jugendliche bis einschließlich 18 Jahre ist er kostenlos. Der Katalog zur Ausstellung kostet im Museum 35 Euro. |