100 Jahre Kunst in Thüringen  |  | in der Ausstellung „Überland – 100 Jahre Kunst in Thüringen“ | |
Zum 100jährigen Bestehen des Landes Thüringen feiert der Kunstverein Schmalkalden derzeit das künstlerische Leben der Region. Die Exponate der 91 Künstler in der Ausstellung „Überland“ spannen einen Bogen von 1920 bis 2020 und umfassen Skulpturen, Fotografien, Gemälde, Grafiken und Installationen. Mit dabei sind unter anderem Werke von Otto Dix, Alexander von Szpinger, Charles Crodel, Volkmar Kühn, Gerda Lepke, Harald Reiner Gratz, Susann Maria Hempel, Kay Voigtmann, Uta Zaumseil, der Bauhauskünstler Paul Klee, Lyonel Feininger oder aus dem Umfeld von Walter Dexel oder Aenne Biermann. Die Schau ist in vier Teile und vier Orte gegliedert: Das Museum Schloss Wilhelmsburg präsentiert Arbeiten der Zeit von 1920 bis 1949, das Otto Mueller Museum der Moderne widmet sich den Jahren von 1950 bis 1979, die Kunst-Etage Alte Post der Phase von 1980 bis 1999, und die letzten 20 Jahre sind in der Totenhofkirche zu sehen.
Am 1. Mai 1920 entstand durch die „kleinthüringische Lösung“ das neue Land. Im Lauf der Geschichte bildete es weder kulturell noch künstlerisch eine Einheit. 1920 war Weimar die Hauptstadt Thüringens und dank Walter Gropius Entstehungsort des Staatlichen Bauhauses. Die Schule sollte in wenigen Jahren wichtige europäische Künstler und Kunstpädagogen anziehen. Die neue Strömung führte etwa zur Sintrax-Kaffeemaschine, die Gerhard Marcks 1926 entwarf. Aber auch Erfurter Institutionen waren von Bedeutung. Als der Berliner Kunsthistoriker Walter Kaesbach 1920 das Direktorat des Städtischen Museums antrat, lud er etwa Künstler der Brücke nach Erfurt. Erich Heckel konnte dank Kaesbach 1922 und 1924 die Wandmalerei „Lebensstufen“ im heutigen Angermuseum ausführen. Unerwartete Begegnungen im ersten Abschnitt der Schau ermöglichen Erich Drechslers farbleuchtendes futuristisches „Viadukt“ von 1924 oder Franz Markaus expressive Wiederentdeckung „Der heilige Franziskus predigt den Vögeln“ aus dem Jahr 1921.
Nach dem Krieg begann sukzessive die Zeit, in der sich Deutschland in die BRD und die DDR aufteilen sollte. Die progressiven Entwicklungen im Kunstraum Thüringen wurden nach 1945 vor allem durch Persönlichkeiten getragen, die sowohl das klassische, wie auch moderne Erbe der Region und die internationalen Kunstströmungen in ihren Arbeiten einschlossen. So schuf der seit 1945 in Gotha ansässige Kurt W. Streubel konkret-konstruktivistische Werke, während Gerhard Altenbourg sich seine versponnenen kleinteiligen Welten in Altenburg ausdachte. In den 1970er Jahren begann ein kultureller Generations- und Gesinnungswandel. Junge Künstler wie Erich Enge, Horst Sakulowski und Karl-Heinz Appelt zog es nach Thüringen. Sie hofften, einen künstlerischen Ausdruck jenseits des sozialistischen Themenkanons entwickeln und in Thüringen etablieren zu können. Zunächst führte dies zu einem Aufschwung im Kunstschaffen der DDR, das aber mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 einen Dämpfer erhielt. Die Folge war der endgültige Vertrauensverlust zwischen unangepassten Künstlern und dem Staat.
Selbstausdruck in Form von Verweigerung, Protest und Widerstand, aber auch künstlerischen und technischen Experimenten fand ab 1980 in der kurzlebigen Erfurter „Galerie im Flur“ einen Ausdrucksort. Sie war von der Schriftstellerin, Künstlerin und Feministin Gabriele Stötzer gegründet worden, nur um ein Jahr später von der Staatssicherheit geschlossen zu werden. In den 1990er Jahren füllten zahlreiche Neugründungen von Künstlergruppen, Kunstvereinen und Galerien das ausgedünnte Kunstgeschehen in Thüringen. Mit der Fakultät Gestaltung ab 1993 an der Weimarer Hochschule, ab 1996 Bauhaus-Universität, wurden auch wieder Studienmöglichkeiten im Bereich bildende Kunst geschaffen. Mit Jana Gunstheimers Wandobjekt „SBK #1743 (Mantel des Werner Hofbichler)“ aus der fiktiven Serie „Heiligsprechung“ von 2007 und Benedikt Brauns Installation „Jackpot“ von 2010 mit zwei Förderbändern, auf denen 1 Cent-Münzen rauschen, sind in der Totenhofkirche aktuelle Strömungen zu sehen, die über den thüringischen Kunstkreis hinausreichen.
Die Ausstellung „Überland – 100 Jahre Kunst in Thüringen“ läuft bis zum 5. Dezember. Das Otto Mueller Museum der Moderne, die Kunst-Etage Alte Post und die Totenhofkirche haben mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, das Museum Schloss Wilhelmsburg bis zum 31. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr, ab 1. November täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr. Der Eintritt für alle vier Orte beträgt 9 Euro, ermäßigt 5 Euro, für zwei Stationen 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre ist er kostenlos. Ein umfassender Katalog begleitet die Ausstellung.
Otto Mueller Museum der Moderne
Altmarkt 8
D-98574 Schmalkalden
Telefon: +49 (0)3683 – 469 58 52
Museum Schloss Wilhelmsburg
Schlossberg 9
D-98574 Schmalkalden
Telefon: +49 (0)3683 – 403 186
Kunst-Etage Alte Post
Altmarkt 10
D-98574 Schmalkalden
Totenhofkirche
Bahnhofstraße/Sandgasse
D-98574 Schmalkalden |