Spielerisch stellte das Schweizer Künstlerduo Fischli & Weiss die Selbstverständlichkeit der Welt infrage – Eine Würdigung
David Weiss gestorben
Peter Fischli und David Weiss erhalten den Roswitha Haftmann-Preis, November 2006
Was passiert eigentlich in meiner Wohnung, wenn ich nicht da bin? Gibt es sie dann überhaupt noch? Existiert sie? Je fantasieloser ein Mensch ist, umso weniger werden ihn solche Fragen interessieren. Jener Mensch, Anhänger des Feststellbaren, des Zählbaren und des Selbstverständlichen, wird auf solche Fragen vielleicht mit einem verständnislosen Blick antworten und dann weitergehen. David Weiss hat sie gestellt, zusammen mit seinem Künstlerpartner Peter Fischli. Beide haben noch andere, bedeutungslosere Fragen gestellt. Rund tausend sind es in ihrer Installation, die 2003 in Venedig den Goldenen Löwen auf der Biennale erhielt.
Gold für Fragen, die keiner hat oder die jeder hat, die harmlos wirken, aber sich in der Seele festbeißen wie böse Ungeheuer. Denn niemand weiß wirklich, was in einem Zimmer passiert, wenn die Tür zu und der Beobachter draußen ist. Die fundamentale Skepsis gegenüber einer wie auch immer gearteten Welt-Erkenntnis, gegenüber unüberlegten Selbstverständlichkeiten; dieses Misstrauen gegen die fröhlichen Annahmen, die uns das Grauen über die Abgründigkeit der Welt verdrängen helfen – die haben Peter Fischli und David Weiss auf beinahe beiläufige Weise gestellt. Und sie haben ihnen zu jenem Gewicht verholfen, das ihnen akademische Philosophie, tiefschürfende Theologie, grübelnde Kunsthermeneutik nicht mehr zu geben vermochten. So leichthin das Fischli & Weiss-Buch „Findet mich das Glück“ als amüsantes Partygeschenk durchging: Wer das Schweizer Duo auf dieser Ebene ansiedelt, der hat wohl ihre Bedeutung auch lediglich am Rang 26 auf der 2012er Kunstbedeutungsliste des „Manager Magazins“ festgemacht.
Am 27. April ist David Weiss, der ältere der beiden Künstler, in seinem Zürcher Haus an einer Krebserkrankung gestorben, im Alter von nur 65 Jahren. Kennen gelernt hatten sich die beiden, wie es verschiedentlich zu lesen war, in der Punk-Szene. Der Bildhauer David Weiss hat in seiner Heimatstadt Zürich den Vorbereitungskurs der Kunstgewerbeschule durchlaufen und anschließend in Basel studiert. Seit 1979 verband die beiden Künstler, die sich selten interviewen ließen und ihre Biografien dem öffentlichen Zugriff entzogen, eine enge Zusammenarbeit. Sie begann mit einer spielerisch anmutenden Aktion, die wie ein kreativer Witz an einem bierseligen Abend wirkt: Aus Wurststücken und -scheiben modellierten sie Alltagsszenen, die sie zu einer „Wurstserie“ von Fotografien posieren ließen.
Ähnlich schwankend zwischen naiv anmutendem Witz, kindlicher Kreativität, hintergründiger Ironie und schlagartig aufbrechender Abgründigkeit ist die Figurenlandschaft von „Plötzlich diese Übersicht“ aus dem Jahr 1981: Etwa 250 ungebrannte Tonfigürchen sind aufgebaut wie auf einer Modelleisenbahnplatte. Wer sich in das Labyrinth der Figürchen und Miniszenerien begibt, mag sich wie ein „Übertourist“ vorkommen, wie ein über einer Welt schwebender Geist. Doch der Zwang, sich auf das Einzelne, auf das Detail zu konzentrieren, zerstört genau das, was der Titel der Arbeit behauptet: Die Übersicht geht verloren, man weiß nicht, wo man in dem Gewirr steht. Sich zu orientieren, fällt schwer.
Wer unwillkürlich beginnt, einen Zusammenhang zu konstruieren, dem wird mit Titeln wie „Beliebte Gegensätze“ eine Systematik suggeriert, die sich im nächsten Moment wieder in Frage gestellt sieht. Auf der Suche nach der „Übersicht“ tappt der Betrachter ständig in die Falle des Augenblicks. Das zu vergessen, hilft ihm der Witz einzelner Skulptürchen. Und das leise Grausen, das einen bei Szenen wie „Im Keller“ oder „Strangers in the Night“ beschleicht, löst sich bei der nächsten Detailstudie in reines, heiteres Schmunzeln auf.
Fischli & Weiss schaffen es in dieser Installation, die Fragwürdigkeit der Welt, der Begriffe und der Sinneseindrücke leise, doch nachhaltig ins Bewusstsein zu rücken. Sie nutzen dazu nicht die offensichtliche Provokation, nicht die grübelnde Verschlüsselung, nicht die pathetische Aufladung mit Symbolwert. Ihre Methode schafft Zusammenhang. Der wirkt nicht selten leichthinnig, spielerisch, unabsichtlich. Er nutzt zum Beispiel den geistigen Trieb des Betrachters, der entdecken, gliedern, systematisieren will. Nicht der schockierende Kontrast ist das Mittel des Künstlerduos, sondern eher ein verhaltenes, aber anhaltendes Bohren.
Ihren Durchbruch erlebten die beiden mit ihrem Film „Der Lauf der Dinge“ auf der Documenta in Kassel des Jahres 1987. Spätestens seit ihrer Teilnahme an der 46. Biennale Venedig von 1995 waren sie in allen großen Kunstmuseen der Moderne unterwegs. Skulpturen, Filme, Installationen, Projektionen wurden gezeigt, zum Beispiel die Fotoserie „Airports“ mit ihrer kaum zu beschreibenden Mischung aus banal und unheimlich, vertraut und befremdlich. Oder ihre Polyurethan-Skulpturen: Sie geben Alltägliches wieder, aber die beiden Künstler nannten eine Sechserserie 1985 „metaphysisch“.
Vertreten von der Matthew Marks Gallery in New York, sind Peter Fischli und David Weiss mit ihren Werken in bedeutenden Museen präsent, vom Museum of Modern Art in New York bis zur Tate Modern in London; natürlich auch im Kunstmuseum Zürich und anderen Schweizer Sammlungen. In Deutschland besitzen etwa die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, das Museum im Hamburger Bahnhof in Berlin, das Ludwig Forum in Aachen und der Skulpturenpark Köln Werke des Duos.
Die Hamburger Deichtorhallen 2008 und die Sammlung Goetz in München 2010 zeigten die letzten großen deutschen Einzelausstellungen; 2011 waren im Art Institute of Chicago ihre klassischen Werke zusammengefasst. Erst am 29. April ging im Museum Folkwang Essen die Ausstellung „Der Mensch und seine Objekte“ zu Ende, bei der ebenfalls eine ihrer Arbeiten präsentiert wurde. Der Biennale-Beitrag von 1995, „Arbeiten im Dunkeln“, ist ab 12. Mai in Wolfsburg in der Ausstellung „Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg. Ausgewählte Werke von Carl Andre bis Sergej Jensen“ zu sehen.